nen sie erzogen worden, sie über Sachen un- terrichtet, die rings um sie sind, die Empfin- dungen entwickelt, die in ihren Herzen schla- fen, ihnen ihre ganze Bestimmung und Zwe- cke stufenweise entwickelt: von der ganzen Ge- lehrsamkeit, Weltweisheit und schönen Litte- ratur, von der Geschichte und den schönen Wissenschaften ihnen nur so viel vorhält, als nöthig ist, sie zur Schönheit des Geistes zu bilden, ihnen es in der Ordnung vorhält, die sie immer muntrer macht, und mit den Worten, die ihren Lippen entwandt, den Weg wissen, in ihre Seele und an ihr Herz zu schleichen: Haben wir im Deutschen ein solches Buch zur Bildung? Jch zweifle gar, daß eine Mannsperson es schreiben kann, und die französischen Philosophien in dieser Art sind als Bildungen für einen glänzenden Witz in der Gesellschaft, zum Zeitvertreibe für galante Toiletten, vortreflich: haben sie aber für den guten gesunden Verstand des Lebens, (ich will den bloßen Haus- und Küchenver- stand nicht einmal nennen) geschrieben seyn sollen. Da nun die Franzosen in der Cultur des Frauenzimmers nach ihrem Jdeal des
gesell-
nen ſie erzogen worden, ſie uͤber Sachen un- terrichtet, die rings um ſie ſind, die Empfin- dungen entwickelt, die in ihren Herzen ſchla- fen, ihnen ihre ganze Beſtimmung und Zwe- cke ſtufenweiſe entwickelt: von der ganzen Ge- lehrſamkeit, Weltweisheit und ſchoͤnen Litte- ratur, von der Geſchichte und den ſchoͤnen Wiſſenſchaften ihnen nur ſo viel vorhaͤlt, als noͤthig iſt, ſie zur Schoͤnheit des Geiſtes zu bilden, ihnen es in der Ordnung vorhaͤlt, die ſie immer muntrer macht, und mit den Worten, die ihren Lippen entwandt, den Weg wiſſen, in ihre Seele und an ihr Herz zu ſchleichen: Haben wir im Deutſchen ein ſolches Buch zur Bildung? Jch zweifle gar, daß eine Mannsperſon es ſchreiben kann, und die franzoͤſiſchen Philoſophien in dieſer Art ſind als Bildungen fuͤr einen glaͤnzenden Witz in der Geſellſchaft, zum Zeitvertreibe fuͤr galante Toiletten, vortreflich: haben ſie aber fuͤr den guten geſunden Verſtand des Lebens, (ich will den bloßen Haus- und Kuͤchenver- ſtand nicht einmal nennen) geſchrieben ſeyn ſollen. Da nun die Franzoſen in der Cultur des Frauenzimmers nach ihrem Jdeal des
geſell-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0072"n="64"/>
nen ſie erzogen worden, ſie uͤber Sachen un-<lb/>
terrichtet, die rings um ſie ſind, die Empfin-<lb/>
dungen entwickelt, die in ihren Herzen ſchla-<lb/>
fen, ihnen ihre ganze Beſtimmung und Zwe-<lb/>
cke ſtufenweiſe entwickelt: von der ganzen Ge-<lb/>
lehrſamkeit, Weltweisheit und ſchoͤnen Litte-<lb/>
ratur, von der Geſchichte und den ſchoͤnen<lb/>
Wiſſenſchaften ihnen <hirendition="#fr">nur ſo viel</hi> vorhaͤlt, als<lb/>
noͤthig iſt, ſie <hirendition="#fr">zur Schoͤnheit</hi> des Geiſtes zu<lb/>
bilden, ihnen es in <hirendition="#fr">der Ordnung</hi> vorhaͤlt,<lb/>
die ſie immer muntrer macht, und <hirendition="#fr">mit den<lb/>
Worten,</hi> die ihren Lippen entwandt, den<lb/>
Weg wiſſen, in ihre Seele und an ihr Herz<lb/>
zu ſchleichen: Haben wir im Deutſchen ein<lb/>ſolches Buch zur Bildung? Jch zweifle gar,<lb/>
daß eine Mannsperſon es ſchreiben kann, und<lb/>
die franzoͤſiſchen Philoſophien in dieſer Art ſind<lb/>
als Bildungen fuͤr einen glaͤnzenden Witz in<lb/>
der Geſellſchaft, zum Zeitvertreibe fuͤr galante<lb/>
Toiletten, vortreflich: haben ſie aber fuͤr den<lb/><hirendition="#fr">guten geſunden Verſtand des Lebens,</hi> (ich<lb/>
will den <hirendition="#fr">bloßen Haus- und Kuͤchenver-<lb/>ſtand</hi> nicht einmal nennen) geſchrieben ſeyn<lb/>ſollen. Da nun die Franzoſen in der Cultur<lb/>
des Frauenzimmers nach ihrem Jdeal des<lb/><fwplace="bottom"type="catch">geſell-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[64/0072]
nen ſie erzogen worden, ſie uͤber Sachen un-
terrichtet, die rings um ſie ſind, die Empfin-
dungen entwickelt, die in ihren Herzen ſchla-
fen, ihnen ihre ganze Beſtimmung und Zwe-
cke ſtufenweiſe entwickelt: von der ganzen Ge-
lehrſamkeit, Weltweisheit und ſchoͤnen Litte-
ratur, von der Geſchichte und den ſchoͤnen
Wiſſenſchaften ihnen nur ſo viel vorhaͤlt, als
noͤthig iſt, ſie zur Schoͤnheit des Geiſtes zu
bilden, ihnen es in der Ordnung vorhaͤlt,
die ſie immer muntrer macht, und mit den
Worten, die ihren Lippen entwandt, den
Weg wiſſen, in ihre Seele und an ihr Herz
zu ſchleichen: Haben wir im Deutſchen ein
ſolches Buch zur Bildung? Jch zweifle gar,
daß eine Mannsperſon es ſchreiben kann, und
die franzoͤſiſchen Philoſophien in dieſer Art ſind
als Bildungen fuͤr einen glaͤnzenden Witz in
der Geſellſchaft, zum Zeitvertreibe fuͤr galante
Toiletten, vortreflich: haben ſie aber fuͤr den
guten geſunden Verſtand des Lebens, (ich
will den bloßen Haus- und Kuͤchenver-
ſtand nicht einmal nennen) geſchrieben ſeyn
ſollen. Da nun die Franzoſen in der Cultur
des Frauenzimmers nach ihrem Jdeal des
geſell-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/72>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.