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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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einem Barbarismus zittert; wenn er vor
jedes zweideutige Wort, vt ita dicam etc.
setzt: wenn er in der Naturlehre der Er-
fahrungen
undeutlich umschreibt, um nur
zierlich thun zu können. -- Man würde la-
chen, wenn eine Politische Zeitung in um-
schreibendes Deutsch gekleidet, auf hochflie-
genden Schwingen sich ins Reich der Wolken
hübe: aber darüber lacht man nicht, wenn in
den lateinischen Titeln unterthäniger Zueig-
nungsschriften ein Quartblatt von Aemtern in
seine Bestandtheile aufgelöset, in Fluß ge-
bracht, und zu ächten reinen Phrasibus um-
geschmelzt wird, daß der gnädige Gönner oft
selbst zu rathen hat, wozu ihn sein Client
macht! Heißt es hier nicht: Man muß ihn
in die Schule schicken!
Möchten doch
Schriftsteller dieser Art bedenken, worüber sie
schrieben, daß hier das Wort den Gedan-
ken, nicht der Gedanke das Wort er-
zeuge.

Zweitens: Ueberall wo ich zum gemeinen
Mann
rede: (ich meine hier jeden, der kein
Büchergelehrter ist) muß ich in seiner
Sprache
reden, und ihn zu meiner Spra-

che
D 5

einem Barbariſmus zittert; wenn er vor
jedes zweideutige Wort, vt ita dicam etc.
ſetzt: wenn er in der Naturlehre der Er-
fahrungen
undeutlich umſchreibt, um nur
zierlich thun zu koͤnnen. — Man wuͤrde la-
chen, wenn eine Politiſche Zeitung in um-
ſchreibendes Deutſch gekleidet, auf hochflie-
genden Schwingen ſich ins Reich der Wolken
huͤbe: aber daruͤber lacht man nicht, wenn in
den lateiniſchen Titeln unterthaͤniger Zueig-
nungsſchriften ein Quartblatt von Aemtern in
ſeine Beſtandtheile aufgeloͤſet, in Fluß ge-
bracht, und zu aͤchten reinen Phraſibus um-
geſchmelzt wird, daß der gnaͤdige Goͤnner oft
ſelbſt zu rathen hat, wozu ihn ſein Client
macht! Heißt es hier nicht: Man muß ihn
in die Schule ſchicken!
Moͤchten doch
Schriftſteller dieſer Art bedenken, woruͤber ſie
ſchrieben, daß hier das Wort den Gedan-
ken, nicht der Gedanke das Wort er-
zeuge.

Zweitens: Ueberall wo ich zum gemeinen
Mann
rede: (ich meine hier jeden, der kein
Buͤchergelehrter iſt) muß ich in ſeiner
Sprache
reden, und ihn zu meiner Spra-

che
D 5
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[57/0065] einem Barbariſmus zittert; wenn er vor jedes zweideutige Wort, vt ita dicam etc. ſetzt: wenn er in der Naturlehre der Er- fahrungen undeutlich umſchreibt, um nur zierlich thun zu koͤnnen. — Man wuͤrde la- chen, wenn eine Politiſche Zeitung in um- ſchreibendes Deutſch gekleidet, auf hochflie- genden Schwingen ſich ins Reich der Wolken huͤbe: aber daruͤber lacht man nicht, wenn in den lateiniſchen Titeln unterthaͤniger Zueig- nungsſchriften ein Quartblatt von Aemtern in ſeine Beſtandtheile aufgeloͤſet, in Fluß ge- bracht, und zu aͤchten reinen Phraſibus um- geſchmelzt wird, daß der gnaͤdige Goͤnner oft ſelbſt zu rathen hat, wozu ihn ſein Client macht! Heißt es hier nicht: Man muß ihn in die Schule ſchicken! Moͤchten doch Schriftſteller dieſer Art bedenken, woruͤber ſie ſchrieben, daß hier das Wort den Gedan- ken, nicht der Gedanke das Wort er- zeuge. Zweitens: Ueberall wo ich zum gemeinen Mann rede: (ich meine hier jeden, der kein Buͤchergelehrter iſt) muß ich in ſeiner Sprache reden, und ihn zu meiner Spra- che D 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/65>, abgerufen am 25.11.2024.