Schorsteine neue Namen geben wollte: so war sie am Kopfe krank, und mancher Klügling hat sich über ihre Krankheit beinahe selbst krank gelacht. Aber wenn Halle über Kün- ste und Handwerke* eine neue Sprache re- det: mit ästhetischen Umschreibungen und ga- lanten Umschweifen uns eine wächserne Nase dreht: wenn er die Geschichte der Thiere nicht wie ein Lehrer der einfältigen Natur uns erzählet, sondern mit artigen und feinen Männchen uns bald dies, bald das, als ein Schattenspiel an der Wand zeigt, damit wir ja die Brillanten an seinen Fingern sehen sol- len: so ist das ein schöner Schriftsteller von Geschmack. -- Ferner: wenn im gemeinen Leben eine Großtante nach der alten Welt höf- lich zu sprechen glaubt, wenn sie sagt: meine Füße mit Respekt zu sagen! oder, die Straße ist salua venia unrein! so lachen wir über die gute Frau. Wir lachen über das gute Mädchen, die Sachen umschreibt, die sie für unhöflich hält, und sich Clystier oder Bein- kleid zu sagen schämt. -- Aber darüber la- chen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter für
einem
* Litt. Br. Th. 14. p. 325.
Schorſteine neue Namen geben wollte: ſo war ſie am Kopfe krank, und mancher Kluͤgling hat ſich uͤber ihre Krankheit beinahe ſelbſt krank gelacht. Aber wenn Halle uͤber Kuͤn- ſte und Handwerke* eine neue Sprache re- det: mit aͤſthetiſchen Umſchreibungen und ga- lanten Umſchweifen uns eine waͤchſerne Naſe dreht: wenn er die Geſchichte der Thiere nicht wie ein Lehrer der einfaͤltigen Natur uns erzaͤhlet, ſondern mit artigen und feinen Maͤnnchen uns bald dies, bald das, als ein Schattenſpiel an der Wand zeigt, damit wir ja die Brillanten an ſeinen Fingern ſehen ſol- len: ſo iſt das ein ſchoͤner Schriftſteller von Geſchmack. — Ferner: wenn im gemeinen Leben eine Großtante nach der alten Welt hoͤf- lich zu ſprechen glaubt, wenn ſie ſagt: meine Fuͤße mit Reſpekt zu ſagen! oder, die Straße iſt ſalua venia unrein! ſo lachen wir uͤber die gute Frau. Wir lachen uͤber das gute Maͤdchen, die Sachen umſchreibt, die ſie fuͤr unhoͤflich haͤlt, und ſich Clyſtier oder Bein- kleid zu ſagen ſchaͤmt. — Aber daruͤber la- chen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter fuͤr
einem
* Litt. Br. Th. 14. p. 325.
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Schorſteine neue Namen geben wollte: ſo war
ſie am Kopfe krank, und mancher Kluͤgling
hat ſich uͤber ihre Krankheit beinahe ſelbſt
krank gelacht. Aber wenn Halle uͤber Kuͤn-
ſte und Handwerke * eine neue Sprache re-
det: mit aͤſthetiſchen Umſchreibungen und ga-
lanten Umſchweifen uns eine waͤchſerne Naſe
dreht: wenn er die Geſchichte der Thiere
nicht wie ein Lehrer der einfaͤltigen Natur uns
erzaͤhlet, ſondern mit artigen und feinen
Maͤnnchen uns bald dies, bald das, als ein
Schattenſpiel an der Wand zeigt, damit wir
ja die Brillanten an ſeinen Fingern ſehen ſol-
len: ſo iſt das ein ſchoͤner Schriftſteller von
Geſchmack. — Ferner: wenn im gemeinen
Leben eine Großtante nach der alten Welt hoͤf-
lich zu ſprechen glaubt, wenn ſie ſagt: meine
Fuͤße mit Reſpekt zu ſagen! oder, die Straße
iſt ſalua venia unrein! ſo lachen wir uͤber
die gute Frau. Wir lachen uͤber das gute
Maͤdchen, die Sachen umſchreibt, die ſie fuͤr
unhoͤflich haͤlt, und ſich Clyſtier oder Bein-
kleid zu ſagen ſchaͤmt. — Aber daruͤber la-
chen wir nicht, wenn ein Schulgelehrter fuͤr
einem
* Litt. Br. Th. 14. p. 325.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/64>, abgerufen am 25.11.2024.
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