"Dinge, wobei abstrakte Untersuchungen weg- "fallen," wechseln wir mit Worten, wie mit Geldstücken: jedes soll seinen bestimmten Werth haben: aber ob es ihn hat, und ob der andre weiß, wie viel es haben soll; das ist eine ganz andre Frage. Ein Frauen- zimmer, das gut, nicht aber gelehrt, erzogen ist, wird über Dinge, die in ihrer Sphäre sind, mit einer Geläufigkeit, ungekünstelten Bestimmtheit, und naiven Schönheit spre- chen, daß sie gefällt; kömmt aber ein Schul- gelehrter, der ihre Worte wägen will: so wird sie schüchtern werden; will er philo- sophische Erklärungen und Bestimmun- gen; so wird sie stammeln -- nochmals stam- meln, und endlich dasselbe Wort wiederholen; will er jetzt aber grammatische Zierlich- keiten lehren, wie sie es besser hätte sagen können: so wird sie sich loswinden, und ihn von weiten anhören:
als ob der graduirte Mann mit einem Zauberfluche sie zu beschwören suche.
Warum? sie ist gewohnt, über ihre Welt klar, aber nicht logischdeutlich zu denken,
ver-
D 3
„Dinge, wobei abſtrakte Unterſuchungen weg- „fallen,„ wechſeln wir mit Worten, wie mit Geldſtuͤcken: jedes ſoll ſeinen beſtimmten Werth haben: aber ob es ihn hat, und ob der andre weiß, wie viel es haben ſoll; das iſt eine ganz andre Frage. Ein Frauen- zimmer, das gut, nicht aber gelehrt, erzogen iſt, wird uͤber Dinge, die in ihrer Sphaͤre ſind, mit einer Gelaͤufigkeit, ungekuͤnſtelten Beſtimmtheit, und naiven Schoͤnheit ſpre- chen, daß ſie gefaͤllt; koͤmmt aber ein Schul- gelehrter, der ihre Worte waͤgen will: ſo wird ſie ſchuͤchtern werden; will er philo- ſophiſche Erklaͤrungen und Beſtimmun- gen; ſo wird ſie ſtammeln — nochmals ſtam- meln, und endlich daſſelbe Wort wiederholen; will er jetzt aber grammatiſche Zierlich- keiten lehren, wie ſie es beſſer haͤtte ſagen koͤnnen: ſo wird ſie ſich loswinden, und ihn von weiten anhoͤren:
als ob der graduirte Mann mit einem Zauberfluche ſie zu beſchwoͤren ſuche.
Warum? ſie iſt gewohnt, uͤber ihre Welt klar, aber nicht logiſchdeutlich zu denken,
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„Dinge, wobei abſtrakte Unterſuchungen weg-
„fallen,„ wechſeln wir mit Worten, wie mit
Geldſtuͤcken: jedes ſoll ſeinen beſtimmten
Werth haben: aber ob es ihn hat, und ob
der andre weiß, wie viel es haben ſoll;
das iſt eine ganz andre Frage. Ein Frauen-
zimmer, das gut, nicht aber gelehrt, erzogen
iſt, wird uͤber Dinge, die in ihrer Sphaͤre
ſind, mit einer Gelaͤufigkeit, ungekuͤnſtelten
Beſtimmtheit, und naiven Schoͤnheit ſpre-
chen, daß ſie gefaͤllt; koͤmmt aber ein Schul-
gelehrter, der ihre Worte waͤgen will: ſo
wird ſie ſchuͤchtern werden; will er philo-
ſophiſche Erklaͤrungen und Beſtimmun-
gen; ſo wird ſie ſtammeln — nochmals ſtam-
meln, und endlich daſſelbe Wort wiederholen;
will er jetzt aber grammatiſche Zierlich-
keiten lehren, wie ſie es beſſer haͤtte ſagen
koͤnnen: ſo wird ſie ſich loswinden, und ihn
von weiten anhoͤren:
als ob der graduirte Mann
mit einem Zauberfluche
ſie zu beſchwoͤren ſuche.
Warum? ſie iſt gewohnt, uͤber ihre Welt
klar, aber nicht logiſchdeutlich zu denken,
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/61>, abgerufen am 18.07.2024.
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