und Unterricht ist (wie es einem jeden, der die Welt, die menschliche Seele kennet, überlassen wird zum Nachdenken), so kommt alles aus seinem Gleichgewichte, wenn wir für Latium erzogen werden, und die lateini- sche Sprache der herrschende Ton des Ganzen wird. Die Welt braucht hundert tüchtige Männer und einen Philologen: hundert Stel- len, wo Realwissenschaften unentbehrlich sind; einer, wo eine gelehrte und grammatische Känntniß des alten Roms gefodert wird.
Nun schränke ich mich drittens so gar auf die Sphäre eines Gelehrten ein; auch in sei- ner Bildung kann der lateinische Geist fesseln, so gut als in der Bildung des Genies und brauchbaren Mannes. Jch sezze hier schon wahre Bildung voraus, daß man ihn nicht blos mit den Worten, den Gebräuchen und Alterthümern; sondern mit dem Sinn der Römer bekannt mache, und diese ihm zum Muster der Nachahmung vorhalte -- selbst hier sezze ich eine kleine Einschränkung hinzu. Das ist doch einmal gewiß, daß die Römer auf einer andern Stufe der Cultur gestan- den, als wir, daß wir sie in einigen Stücken
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und Unterricht iſt (wie es einem jeden, der die Welt, die menſchliche Seele kennet, uͤberlaſſen wird zum Nachdenken), ſo kommt alles aus ſeinem Gleichgewichte, wenn wir fuͤr Latium erzogen werden, und die lateini- ſche Sprache der herrſchende Ton des Ganzen wird. Die Welt braucht hundert tuͤchtige Maͤnner und einen Philologen: hundert Stel- len, wo Realwiſſenſchaften unentbehrlich ſind; einer, wo eine gelehrte und grammatiſche Kaͤnntniß des alten Roms gefodert wird.
Nun ſchraͤnke ich mich drittens ſo gar auf die Sphaͤre eines Gelehrten ein; auch in ſei- ner Bildung kann der lateiniſche Geiſt feſſeln, ſo gut als in der Bildung des Genies und brauchbaren Mannes. Jch ſezze hier ſchon wahre Bildung voraus, daß man ihn nicht blos mit den Worten, den Gebraͤuchen und Alterthuͤmern; ſondern mit dem Sinn der Roͤmer bekannt mache, und dieſe ihm zum Muſter der Nachahmung vorhalte — ſelbſt hier ſezze ich eine kleine Einſchraͤnkung hinzu. Das iſt doch einmal gewiß, daß die Roͤmer auf einer andern Stufe der Cultur geſtan- den, als wir, daß wir ſie in einigen Stuͤcken
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[43/0051]
und Unterricht iſt (wie es einem jeden, der
die Welt, die menſchliche Seele kennet,
uͤberlaſſen wird zum Nachdenken), ſo kommt
alles aus ſeinem Gleichgewichte, wenn wir
fuͤr Latium erzogen werden, und die lateini-
ſche Sprache der herrſchende Ton des Ganzen
wird. Die Welt braucht hundert tuͤchtige
Maͤnner und einen Philologen: hundert Stel-
len, wo Realwiſſenſchaften unentbehrlich ſind;
einer, wo eine gelehrte und grammatiſche
Kaͤnntniß des alten Roms gefodert wird.
Nun ſchraͤnke ich mich drittens ſo gar auf
die Sphaͤre eines Gelehrten ein; auch in ſei-
ner Bildung kann der lateiniſche Geiſt feſſeln,
ſo gut als in der Bildung des Genies und
brauchbaren Mannes. Jch ſezze hier ſchon
wahre Bildung voraus, daß man ihn nicht
blos mit den Worten, den Gebraͤuchen und
Alterthuͤmern; ſondern mit dem Sinn der
Roͤmer bekannt mache, und dieſe ihm zum
Muſter der Nachahmung vorhalte — ſelbſt
hier ſezze ich eine kleine Einſchraͤnkung hinzu.
Das iſt doch einmal gewiß, daß die Roͤmer
auf einer andern Stufe der Cultur geſtan-
den, als wir, daß wir ſie in einigen Stuͤcken
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/51>, abgerufen am 28.11.2024.
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