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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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ihren Cicero als solch ein erhabnes Muster
angesehen, in quo ingenii humani summa
vis et quasi mensura eluxit et constitit,

und der das größeste Vorbild seyn müßte,
sich ihm nicht blos nachzubilden, sondern ihm
nachzuahmen, ihn zum Mittelpunkt der Nach-
ahmung in allen Arten der Gelehrsamkeit zu
machen -- haben sie so gedacht? Es kann
seyn: aber folgende Worte stehen auch in ei-
nem Römer, die seine Meinung von der al-
ten Beredsamkeit
enthalten, und die ich
gleich auf unsre Homilien deuten kann.
"Caßius Severus lenkte sich zuerst von jenem
"gebahnten Wege der alten Rednerei ab:
"aber ich behaupte, nicht aus Schwäche des
"Genies, nicht aus Mangel der Gelehrsam-
"keit, sondern mit reifer Ueberlegung und mit
"Verstand. Er sahe nehmlich, daß mit dem
"Geiste der Zeitalter, und mit der Verände-
"rung des Numerus für das Ohr (diuer-
"sitate aurium
) auch die Form und Gat-
"tung der Beredsamkeit sich ändern müsse.
"Damals konnte ein Volk, das unerfahren
"und ungebildet war, noch eine weitläuftige
"Rede ausstehen: ja selbst das wurde dem

"Redner

ihren Cicero als ſolch ein erhabnes Muſter
angeſehen, in quo ingenii humani ſumma
vis et quaſi menſura eluxit et conſtitit,

und der das groͤßeſte Vorbild ſeyn muͤßte,
ſich ihm nicht blos nachzubilden, ſondern ihm
nachzuahmen, ihn zum Mittelpunkt der Nach-
ahmung in allen Arten der Gelehrſamkeit zu
machen — haben ſie ſo gedacht? Es kann
ſeyn: aber folgende Worte ſtehen auch in ei-
nem Roͤmer, die ſeine Meinung von der al-
ten Beredſamkeit
enthalten, und die ich
gleich auf unſre Homilien deuten kann.
„Caßius Severus lenkte ſich zuerſt von jenem
„gebahnten Wege der alten Rednerei ab:
„aber ich behaupte, nicht aus Schwaͤche des
„Genies, nicht aus Mangel der Gelehrſam-
„keit, ſondern mit reifer Ueberlegung und mit
„Verſtand. Er ſahe nehmlich, daß mit dem
„Geiſte der Zeitalter, und mit der Veraͤnde-
„rung des Numerus fuͤr das Ohr (diuer-
„ſitate aurium
) auch die Form und Gat-
„tung der Beredſamkeit ſich aͤndern muͤſſe.
„Damals konnte ein Volk, das unerfahren
„und ungebildet war, noch eine weitlaͤuftige
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[290/0298] ihren Cicero als ſolch ein erhabnes Muſter angeſehen, in quo ingenii humani ſumma vis et quaſi menſura eluxit et conſtitit, und der das groͤßeſte Vorbild ſeyn muͤßte, ſich ihm nicht blos nachzubilden, ſondern ihm nachzuahmen, ihn zum Mittelpunkt der Nach- ahmung in allen Arten der Gelehrſamkeit zu machen — haben ſie ſo gedacht? Es kann ſeyn: aber folgende Worte ſtehen auch in ei- nem Roͤmer, die ſeine Meinung von der al- ten Beredſamkeit enthalten, und die ich gleich auf unſre Homilien deuten kann. „Caßius Severus lenkte ſich zuerſt von jenem „gebahnten Wege der alten Rednerei ab: „aber ich behaupte, nicht aus Schwaͤche des „Genies, nicht aus Mangel der Gelehrſam- „keit, ſondern mit reifer Ueberlegung und mit „Verſtand. Er ſahe nehmlich, daß mit dem „Geiſte der Zeitalter, und mit der Veraͤnde- „rung des Numerus fuͤr das Ohr (diuer- „ſitate aurium) auch die Form und Gat- „tung der Beredſamkeit ſich aͤndern muͤſſe. „Damals konnte ein Volk, das unerfahren „und ungebildet war, noch eine weitlaͤuftige „Rede ausſtehen: ja ſelbſt das wurde dem „Redner

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/298>, abgerufen am 22.11.2024.