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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Drittens: kaum dörften unsre Kanzel-
redner mit Cicero die Redtheile gleich haben
sollen: wenigstens ist die Sprache bei beiden
sehr verschieden. Jch fange vom kleinsten an:
Man hört auf der Kanzel leider zu oft zu-
sammengeschlungne, verkettete, und mit Bin-
dewörtern verpallisadirte Perioden, die einige
junge Redner und unwissende Lobredner cice-
ronianische
Perioden nennen; sie haben aber
mit Cicero nichts gemein, als den äußern
Leisten, und das dazu am ganz unrechten
Ort. Wenn der Römer in den asiatischen
Stil sich ausbreitet: so ist dies gemeiniglich
eine Ueberschwemmung, die seine Sprache
gestattet, das Ohr des Volks erlaubet, und
seine Leidenschaft fodert. "Die Römer
"musten wegen der Kürze ihrer Worte die
"periodische Theile ketten, wenn sie nicht in
"den abgeschnittenen Stil fallen wollten. Ohne
"Artikel, ohne Hülfswörter, reich an Parti-
"cipien fügte sich ihre Sprache so an einan-
"der, daß immer ein Satz in wenigen Wor-
"ten da stand. Jm Deutschen aber, welcher
"Unterschied! Wenn wir die Perioden nicht
"schleppen wollen, müssen wir sie mannich-

"mal

Drittens: kaum doͤrften unſre Kanzel-
redner mit Cicero die Redtheile gleich haben
ſollen: wenigſtens iſt die Sprache bei beiden
ſehr verſchieden. Jch fange vom kleinſten an:
Man hoͤrt auf der Kanzel leider zu oft zu-
ſammengeſchlungne, verkettete, und mit Bin-
dewoͤrtern verpalliſadirte Perioden, die einige
junge Redner und unwiſſende Lobredner cice-
ronianiſche
Perioden nennen; ſie haben aber
mit Cicero nichts gemein, als den aͤußern
Leiſten, und das dazu am ganz unrechten
Ort. Wenn der Roͤmer in den aſiatiſchen
Stil ſich ausbreitet: ſo iſt dies gemeiniglich
eine Ueberſchwemmung, die ſeine Sprache
geſtattet, das Ohr des Volks erlaubet, und
ſeine Leidenſchaft fodert. „Die Roͤmer
„muſten wegen der Kuͤrze ihrer Worte die
„periodiſche Theile ketten, wenn ſie nicht in
„den abgeſchnittenen Stil fallen wollten. Ohne
„Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Parti-
„cipien fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einan-
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„ten da ſtand. Jm Deutſchen aber, welcher
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[282/0290] Drittens: kaum doͤrften unſre Kanzel- redner mit Cicero die Redtheile gleich haben ſollen: wenigſtens iſt die Sprache bei beiden ſehr verſchieden. Jch fange vom kleinſten an: Man hoͤrt auf der Kanzel leider zu oft zu- ſammengeſchlungne, verkettete, und mit Bin- dewoͤrtern verpalliſadirte Perioden, die einige junge Redner und unwiſſende Lobredner cice- ronianiſche Perioden nennen; ſie haben aber mit Cicero nichts gemein, als den aͤußern Leiſten, und das dazu am ganz unrechten Ort. Wenn der Roͤmer in den aſiatiſchen Stil ſich ausbreitet: ſo iſt dies gemeiniglich eine Ueberſchwemmung, die ſeine Sprache geſtattet, das Ohr des Volks erlaubet, und ſeine Leidenſchaft fodert. „Die Roͤmer „muſten wegen der Kuͤrze ihrer Worte die „periodiſche Theile ketten, wenn ſie nicht in „den abgeſchnittenen Stil fallen wollten. Ohne „Artikel, ohne Huͤlfswoͤrter, reich an Parti- „cipien fuͤgte ſich ihre Sprache ſo an einan- „der, daß immer ein Satz in wenigen Wor- „ten da ſtand. Jm Deutſchen aber, welcher „Unterſchied! Wenn wir die Perioden nicht „ſchleppen wollen, muͤſſen wir ſie mannich- „mal

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/290>, abgerufen am 25.11.2024.