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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Wüsten völlig zu der richtigsten Straße nicht
hinführe, sondern durch ein Wunder hin-
werfe: daß jede falsche Farbe abgestrichen,
der falsche Geschmack völlig umgeschmolzen,
die ganze Bildung umgeschaffen werde, so
bald drei glänzende Muster erscheinen: kurz!
wenn jene wunderbare Umwandelungen Statt
finden, die die Mitternacht zum Mittage ma-
chen: ich sage, so bald diese glänzende Poe-
tische Mährchen die Merkstäbe sind, zu denen
man in der Geschichte des menschlichen Ver-
standes alles hinleitet, und alles ableitet: so
kann ich nicht schreiben.

Fände ich aber einen Leser, der diese wun-
derbare plötzliche Revolutionen unmöglich
findet: der mit mir überdenket, wie sie ihrem
Jnnern nach dem menschlichen Verstande,
und der Analogie aller Begebenheiten, zuwi-
der seyn; wie selbst die Verderbungen und
Sündfluthen über Gelehrsamkeit und Ge-
schmack, die doch weit eher hinreißen, nicht
durchaus auf die letzte Stuffe mit einem mal
sinken, sondern sich allmälich neigen, und
endlich zuletzt, mit einer beschleunigten Kraft
in den Abgrund stürzen; wer sich Zeit nimmt,

die
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Wuͤſten voͤllig zu der richtigſten Straße nicht
hinfuͤhre, ſondern durch ein Wunder hin-
werfe: daß jede falſche Farbe abgeſtrichen,
der falſche Geſchmack voͤllig umgeſchmolzen,
die ganze Bildung umgeſchaffen werde, ſo
bald drei glaͤnzende Muſter erſcheinen: kurz!
wenn jene wunderbare Umwandelungen Statt
finden, die die Mitternacht zum Mittage ma-
chen: ich ſage, ſo bald dieſe glaͤnzende Poe-
tiſche Maͤhrchen die Merkſtaͤbe ſind, zu denen
man in der Geſchichte des menſchlichen Ver-
ſtandes alles hinleitet, und alles ableitet: ſo
kann ich nicht ſchreiben.

Faͤnde ich aber einen Leſer, der dieſe wun-
derbare ploͤtzliche Revolutionen unmoͤglich
findet: der mit mir uͤberdenket, wie ſie ihrem
Jnnern nach dem menſchlichen Verſtande,
und der Analogie aller Begebenheiten, zuwi-
der ſeyn; wie ſelbſt die Verderbungen und
Suͤndfluthen uͤber Gelehrſamkeit und Ge-
ſchmack, die doch weit eher hinreißen, nicht
durchaus auf die letzte Stuffe mit einem mal
ſinken, ſondern ſich allmaͤlich neigen, und
endlich zuletzt, mit einer beſchleunigten Kraft
in den Abgrund ſtuͤrzen; wer ſich Zeit nimmt,

die
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[19/0027] Wuͤſten voͤllig zu der richtigſten Straße nicht hinfuͤhre, ſondern durch ein Wunder hin- werfe: daß jede falſche Farbe abgeſtrichen, der falſche Geſchmack voͤllig umgeſchmolzen, die ganze Bildung umgeſchaffen werde, ſo bald drei glaͤnzende Muſter erſcheinen: kurz! wenn jene wunderbare Umwandelungen Statt finden, die die Mitternacht zum Mittage ma- chen: ich ſage, ſo bald dieſe glaͤnzende Poe- tiſche Maͤhrchen die Merkſtaͤbe ſind, zu denen man in der Geſchichte des menſchlichen Ver- ſtandes alles hinleitet, und alles ableitet: ſo kann ich nicht ſchreiben. Faͤnde ich aber einen Leſer, der dieſe wun- derbare ploͤtzliche Revolutionen unmoͤglich findet: der mit mir uͤberdenket, wie ſie ihrem Jnnern nach dem menſchlichen Verſtande, und der Analogie aller Begebenheiten, zuwi- der ſeyn; wie ſelbſt die Verderbungen und Suͤndfluthen uͤber Gelehrſamkeit und Ge- ſchmack, die doch weit eher hinreißen, nicht durchaus auf die letzte Stuffe mit einem mal ſinken, ſondern ſich allmaͤlich neigen, und endlich zuletzt, mit einer beſchleunigten Kraft in den Abgrund ſtuͤrzen; wer ſich Zeit nimmt, die B 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/27>, abgerufen am 21.11.2024.