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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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"Juvenal ist ein prosaischer Schriftstel-
"ler, und Horaz hat seine Stelle auf dem
"Parnaß, weil er mit dem Talen zur Sa-
"tyre gebohren worden." Dörfte ich n cht
hingegen sagen: Horaz ist in seinen Sat ren
ein prosaischer Schriftsteller, weil er vor üg-
lich als Dichter zur Ode gebohren ist: Ju-
venal
ist nach seiner Kühnheit, seinem Feuer,
seinem Kolorit, und selbst seinem Sylbenmaaß
nach, ungleich mehr Dichter*.

Wäre
* Denn "keine starke Leidenschaft wohnt in der
"Seele, die einen naiven Gedanken ausdrü-
"cken soll," heißt es auf der folgenden Seite,
und Th. 18. p. 119. heißt es gar: "Horaz muß
den Misstand, kleine Thorheiten mit dem
Schwunge des Hexameters zu belachen, selbst
empfunden haben, weil er, der es so wohl ver-
stand, einen recht wohlklingenden Hexameter
zu machen, ihn gerade in seinen Satyren so
nachläßig bearbeitet, daß man glauben sollte,
er habe es mit Vorsatz gethan, um ihn dadurch
seinem Jnhalt mehr zu nähern, und ihn mit
dem Ton seiner Materie übereinstimmiger zu
machen." -- Dieser Ton ist naive Prose,
und eben wegen dieser naiven Prose soll Ho-
raz ein größerer Dichter seyn,
als andre, die
feuriger schildern? --

Juvenal iſt ein proſaiſcher Schriftſtel-
„ler, und Horaz hat ſeine Stelle auf dem
Parnaß, weil er mit dem Talen zur Sa-
„tyre gebohren worden.„ Doͤrfte ich n cht
hingegen ſagen: Horaz iſt in ſeinen Sat ren
ein proſaiſcher Schriftſteller, weil er vor uͤg-
lich als Dichter zur Ode gebohren iſt: Ju-
venal
iſt nach ſeiner Kuͤhnheit, ſeinem Feuer,
ſeinem Kolorit, und ſelbſt ſeinem Sylbenmaaß
nach, ungleich mehr Dichter*.

Waͤre
* Denn „keine ſtarke Leidenſchaft wohnt in der
„Seele, die einen naiven Gedanken ausdruͤ-
„cken ſoll,„ heißt es auf der folgenden Seite,
und Th. 18. p. 119. heißt es gar: „Horaz muß
den Misſtand, kleine Thorheiten mit dem
Schwunge des Hexameters zu belachen, ſelbſt
empfunden haben, weil er, der es ſo wohl ver-
ſtand, einen recht wohlklingenden Hexameter
zu machen, ihn gerade in ſeinen Satyren ſo
nachlaͤßig bearbeitet, daß man glauben ſollte,
er habe es mit Vorſatz gethan, um ihn dadurch
ſeinem Jnhalt mehr zu naͤhern, und ihn mit
dem Ton ſeiner Materie uͤbereinſtimmiger zu
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raz ein groͤßerer Dichter ſeyn,
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[260/0268] „Juvenal iſt ein proſaiſcher Schriftſtel- „ler, und Horaz hat ſeine Stelle auf dem „Parnaß, weil er mit dem Talen zur Sa- „tyre gebohren worden.„ Doͤrfte ich n cht hingegen ſagen: Horaz iſt in ſeinen Sat ren ein proſaiſcher Schriftſteller, weil er vor uͤg- lich als Dichter zur Ode gebohren iſt: Ju- venal iſt nach ſeiner Kuͤhnheit, ſeinem Feuer, ſeinem Kolorit, und ſelbſt ſeinem Sylbenmaaß nach, ungleich mehr Dichter *. Waͤre * Denn „keine ſtarke Leidenſchaft wohnt in der „Seele, die einen naiven Gedanken ausdruͤ- „cken ſoll,„ heißt es auf der folgenden Seite, und Th. 18. p. 119. heißt es gar: „Horaz muß den Misſtand, kleine Thorheiten mit dem Schwunge des Hexameters zu belachen, ſelbſt empfunden haben, weil er, der es ſo wohl ver- ſtand, einen recht wohlklingenden Hexameter zu machen, ihn gerade in ſeinen Satyren ſo nachlaͤßig bearbeitet, daß man glauben ſollte, er habe es mit Vorſatz gethan, um ihn dadurch ſeinem Jnhalt mehr zu naͤhern, und ihn mit dem Ton ſeiner Materie uͤbereinſtimmiger zu machen.„ — Dieſer Ton iſt naive Proſe, und eben wegen dieſer naiven Proſe ſoll Ho- raz ein groͤßerer Dichter ſeyn, als andre, die feuriger ſchildern? —

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/268>, abgerufen am 22.11.2024.