lichen Zustandes überhaupt, oder dieser und jener Gesellschaft eines besondern Stan- des, einer einzelnen Person entstehen, und bei der letztern werden die verschiedenen Zu- stände in Erwegung gezogen, die dergleichen Empfindungen nothwendig hervorbringen müssen. Der Satyrenschreiber betrachtet auch den Zustand der Menschen überhaupt, bricht zuweilen in eine bittre Klage aus: aber diese Klage entwischt ihm nur aus Ungeduld, wenn er die Ungereimtheiten so gehäuft sieht, daß fast alle Hülfsmittel dagegen mangeln. Der elegische Dichter hingegen überläßt sich mehr einer mitleidigen und jammernden Em- pfindung. Das Elend, das er vor sich sieht, rührt ihn bis zur Klage, ohne daß er es untersucht, wo die Ursachen dazu liegen, und da die Gegenstände nicht nahe gnug sind, um sein Mitleiden in eine ganz unan- genehme Empfindung zu erhöhen: so genießt
er
Elegie von den andern Gedichtarten psycho- logisch und aus der Natur der Seele un- terscheidet, sich nicht eben über alle Einwen- dungen erheben möchte.
lichen Zuſtandes uͤberhaupt, oder dieſer und jener Geſellſchaft eines beſondern Stan- des, einer einzelnen Perſon entſtehen, und bei der letztern werden die verſchiedenen Zu- ſtaͤnde in Erwegung gezogen, die dergleichen Empfindungen nothwendig hervorbringen muͤſſen. Der Satyrenſchreiber betrachtet auch den Zuſtand der Menſchen uͤberhaupt, bricht zuweilen in eine bittre Klage aus: aber dieſe Klage entwiſcht ihm nur aus Ungeduld, wenn er die Ungereimtheiten ſo gehaͤuft ſieht, daß faſt alle Huͤlfsmittel dagegen mangeln. Der elegiſche Dichter hingegen uͤberlaͤßt ſich mehr einer mitleidigen und jammernden Em- pfindung. Das Elend, das er vor ſich ſieht, ruͤhrt ihn bis zur Klage, ohne daß er es unterſucht, wo die Urſachen dazu liegen, und da die Gegenſtaͤnde nicht nahe gnug ſind, um ſein Mitleiden in eine ganz unan- genehme Empfindung zu erhoͤhen: ſo genießt
er
Elegie von den andern Gedichtarten pſycho- logiſch und aus der Natur der Seele un- terſcheidet, ſich nicht eben uͤber alle Einwen- dungen erheben moͤchte.
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lichen Zuſtandes uͤberhaupt, oder dieſer
und jener Geſellſchaft eines beſondern Stan-
des, einer einzelnen Perſon entſtehen, und
bei der letztern werden die verſchiedenen Zu-
ſtaͤnde in Erwegung gezogen, die dergleichen
Empfindungen nothwendig hervorbringen
muͤſſen. Der Satyrenſchreiber betrachtet
auch den Zuſtand der Menſchen uͤberhaupt,
bricht zuweilen in eine bittre Klage aus: aber
dieſe Klage entwiſcht ihm nur aus Ungeduld,
wenn er die Ungereimtheiten ſo gehaͤuft ſieht,
daß faſt alle Huͤlfsmittel dagegen mangeln.
Der elegiſche Dichter hingegen uͤberlaͤßt ſich
mehr einer mitleidigen und jammernden Em-
pfindung. Das Elend, das er vor ſich
ſieht, ruͤhrt ihn bis zur Klage, ohne daß er
es unterſucht, wo die Urſachen dazu liegen,
und da die Gegenſtaͤnde nicht nahe gnug
ſind, um ſein Mitleiden in eine ganz unan-
genehme Empfindung zu erhoͤhen: ſo genießt
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* Elegie von den andern Gedichtarten pſycho-
logiſch und aus der Natur der Seele un-
terſcheidet, ſich nicht eben uͤber alle Einwen-
dungen erheben moͤchte.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/234>, abgerufen am 16.02.2025.
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