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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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wahrt, und gleichsam mit frischen Dämmen
umgeben sind: an diese prallen die Wellen an
und zerschellen. Diese Seelen brechen bei ei-
nem großen Schmerz nicht in Klagen: son-
dern in Rechtfertigungen, in Vorwürfe, in
Drohungen, in unerwartete Entschlüsse aus.
Ein solcher Schmerz zeigt sich im Trauer-
spiele; er kann aber auch in der Ode vorge-
stellt werden. Von der Empfindung der Lust
lassen sich eben die Anmerkungen machen.
Dem elegischen Dichter bleiben also nur Em-
pfindungen übrig, die durch die gegenseitigen
schon gemildert sind: Empfindungen, die in der
Seele nach und nach entstehen, nicht im Sturm
der heftigen Leidenschaft; sondern wenn sie
dieselben erhält: so ists bei ihr öfters nur

-- ein Frühlingstag,
der durch ein Wölkchen lacht.

Es versteht sich, daß es dabei auch auf die
Verschiedenheit der Seelen selbst ankomme.

Die vermischten Empfindungen können
entweder * aus der Betrachtung des mensch-

lichen
* Von hier fängt, wie ich glaube, die wahre
Abhandlung an, da das vorige, wie fern sich
Elegie
Fragm. III S. P

wahrt, und gleichſam mit friſchen Daͤmmen
umgeben ſind: an dieſe prallen die Wellen an
und zerſchellen. Dieſe Seelen brechen bei ei-
nem großen Schmerz nicht in Klagen: ſon-
dern in Rechtfertigungen, in Vorwuͤrfe, in
Drohungen, in unerwartete Entſchluͤſſe aus.
Ein ſolcher Schmerz zeigt ſich im Trauer-
ſpiele; er kann aber auch in der Ode vorge-
ſtellt werden. Von der Empfindung der Luſt
laſſen ſich eben die Anmerkungen machen.
Dem elegiſchen Dichter bleiben alſo nur Em-
pfindungen uͤbrig, die durch die gegenſeitigen
ſchon gemildert ſind: Empfindungen, die in der
Seele nach und nach entſtehen, nicht im Sturm
der heftigen Leidenſchaft; ſondern wenn ſie
dieſelben erhaͤlt: ſo iſts bei ihr oͤfters nur

— ein Fruͤhlingstag,
der durch ein Woͤlkchen lacht.

Es verſteht ſich, daß es dabei auch auf die
Verſchiedenheit der Seelen ſelbſt ankomme.

Die vermiſchten Empfindungen koͤnnen
entweder * aus der Betrachtung des menſch-

lichen
* Von hier faͤngt, wie ich glaube, die wahre
Abhandlung an, da das vorige, wie fern ſich
Elegie
Fragm. III S. P
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[225/0233] wahrt, und gleichſam mit friſchen Daͤmmen umgeben ſind: an dieſe prallen die Wellen an und zerſchellen. Dieſe Seelen brechen bei ei- nem großen Schmerz nicht in Klagen: ſon- dern in Rechtfertigungen, in Vorwuͤrfe, in Drohungen, in unerwartete Entſchluͤſſe aus. Ein ſolcher Schmerz zeigt ſich im Trauer- ſpiele; er kann aber auch in der Ode vorge- ſtellt werden. Von der Empfindung der Luſt laſſen ſich eben die Anmerkungen machen. Dem elegiſchen Dichter bleiben alſo nur Em- pfindungen uͤbrig, die durch die gegenſeitigen ſchon gemildert ſind: Empfindungen, die in der Seele nach und nach entſtehen, nicht im Sturm der heftigen Leidenſchaft; ſondern wenn ſie dieſelben erhaͤlt: ſo iſts bei ihr oͤfters nur — ein Fruͤhlingstag, der durch ein Woͤlkchen lacht. Es verſteht ſich, daß es dabei auch auf die Verſchiedenheit der Seelen ſelbſt ankomme. Die vermiſchten Empfindungen koͤnnen entweder * aus der Betrachtung des menſch- lichen * Von hier faͤngt, wie ich glaube, die wahre Abhandlung an, da das vorige, wie fern ſich Elegie Fragm. III S. P

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/233>, abgerufen am 24.11.2024.