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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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um so mehr den Dichter bewundern, der
diesen Zwang hat überwinden und zur Schön-
heit machen können. Ein so feines Ohr muß
auch von einer Zunge begleitet seyn, die eben
so stolz deklamirt; denn so wie die lyrische
Poesie, nach Klopstocks gerechter Bemerkung,
des meisten Wohlklanges fähig ist: so nähert
sich auch die lyrische Deklamation der Musik
am meisten. Und würde also auch nicht der
allgemeine Ruf von Rammlers Deklamation
voll seyn: so würde schon sein feiner Wohl-
klang in mir den Wunsch erregen, ihn dekla-
miren hören zu können.

Nicht blos Allegorie und Wohlklang:
die Anordnung zum Ganzen der Ode
ist
der Vorzug, weswegen der Name Horazisch
seinen Oden zukömmt. Oft arbeitet er über
Horazische Plane bei ähnlichen Gegenstän-
den: sein Päan an die Concordia folgt dem
Gange der Ode des Flaccus an das Glück,
so gar bis auf das Bild der Nothwendigkeit

Te semper anteit saeva necessitas
Clavos trabales et euneos manu
Gestans ahena, nec severus
Uncus abest liquidumque plumbum - -

Jch

um ſo mehr den Dichter bewundern, der
dieſen Zwang hat uͤberwinden und zur Schoͤn-
heit machen koͤnnen. Ein ſo feines Ohr muß
auch von einer Zunge begleitet ſeyn, die eben
ſo ſtolz deklamirt; denn ſo wie die lyriſche
Poeſie, nach Klopſtocks gerechter Bemerkung,
des meiſten Wohlklanges faͤhig iſt: ſo naͤhert
ſich auch die lyriſche Deklamation der Muſik
am meiſten. Und wuͤrde alſo auch nicht der
allgemeine Ruf von Rammlers Deklamation
voll ſeyn: ſo wuͤrde ſchon ſein feiner Wohl-
klang in mir den Wunſch erregen, ihn dekla-
miren hoͤren zu koͤnnen.

Nicht blos Allegorie und Wohlklang:
die Anordnung zum Ganzen der Ode
iſt
der Vorzug, weswegen der Name Horaziſch
ſeinen Oden zukoͤmmt. Oft arbeitet er uͤber
Horaziſche Plane bei aͤhnlichen Gegenſtaͤn-
den: ſein Paͤan an die Concordia folgt dem
Gange der Ode des Flaccus an das Gluͤck,
ſo gar bis auf das Bild der Nothwendigkeit

Te ſemper anteit ſaeva neceſſitas
Clavos trabales et euneos manu
Geſtans ahena, nec ſeverus
Uncus abeſt liquidumque plumbum ‒ ‒

Jch
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[188/0196] um ſo mehr den Dichter bewundern, der dieſen Zwang hat uͤberwinden und zur Schoͤn- heit machen koͤnnen. Ein ſo feines Ohr muß auch von einer Zunge begleitet ſeyn, die eben ſo ſtolz deklamirt; denn ſo wie die lyriſche Poeſie, nach Klopſtocks gerechter Bemerkung, des meiſten Wohlklanges faͤhig iſt: ſo naͤhert ſich auch die lyriſche Deklamation der Muſik am meiſten. Und wuͤrde alſo auch nicht der allgemeine Ruf von Rammlers Deklamation voll ſeyn: ſo wuͤrde ſchon ſein feiner Wohl- klang in mir den Wunſch erregen, ihn dekla- miren hoͤren zu koͤnnen. Nicht blos Allegorie und Wohlklang: die Anordnung zum Ganzen der Ode iſt der Vorzug, weswegen der Name Horaziſch ſeinen Oden zukoͤmmt. Oft arbeitet er uͤber Horaziſche Plane bei aͤhnlichen Gegenſtaͤn- den: ſein Paͤan an die Concordia folgt dem Gange der Ode des Flaccus an das Gluͤck, ſo gar bis auf das Bild der Nothwendigkeit Te ſemper anteit ſaeva neceſſitas Clavos trabales et euneos manu Geſtans ahena, nec ſeverus Uncus abeſt liquidumque plumbum ‒ ‒ Jch

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/196>, abgerufen am 21.11.2024.