überwindlich -- arme Helden! tapfre Väter! ihr strittet vergebens: eure Urenkel nahmen endlich diese Fessel der Freiheit halb gezwun- gen, halb willig an, als eine Fessel der Ehre -- am Altar!
Wir sehen diese dunkle Zeit oft aus einem viel zu einseitigen Gesichtspunkt an: Karl der große wird als ein Ruhmwürdiger und ver- dienstvoller Monarch angepriesen, der die Deutsche Sprache und Dichtkunst geliebt, die lateinische Sprache und mit ihr die Wissen- schaften, die Religion, und mit ihr das Glück ausgebreitet hätte. -- Betrachtet ihn näher, und sein Verdienst sinkt, wenn sein Ruhm bil- lig pranget: er ward ein unglücklicher Mann, der als ein Geschöpf von Rom, ein Sohn des Pabstes, ein Eiferer bis zur Menschenfeind- schaft, ein Vertilger der Bardischen Littera- tur, der Vater eines unglücklichen Geschlechts, blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil und nie zu erstattenden Schadens anfing -- und das alles ohne Schuld und meistens wi- der seinen Willen.
Mönche und Fränkische Priesterhorden führ- ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz
in
uͤberwindlich — arme Helden! tapfre Vaͤter! ihr ſtrittet vergebens: eure Urenkel nahmen endlich dieſe Feſſel der Freiheit halb gezwun- gen, halb willig an, als eine Feſſel der Ehre — am Altar!
Wir ſehen dieſe dunkle Zeit oft aus einem viel zu einſeitigen Geſichtspunkt an: Karl der große wird als ein Ruhmwuͤrdiger und ver- dienſtvoller Monarch angeprieſen, der die Deutſche Sprache und Dichtkunſt geliebt, die lateiniſche Sprache und mit ihr die Wiſſen- ſchaften, die Religion, und mit ihr das Gluͤck ausgebreitet haͤtte. — Betrachtet ihn naͤher, und ſein Verdienſt ſinkt, wenn ſein Ruhm bil- lig pranget: er ward ein ungluͤcklicher Mann, der als ein Geſchoͤpf von Rom, ein Sohn des Pabſtes, ein Eiferer bis zur Menſchenfeind- ſchaft, ein Vertilger der Bardiſchen Littera- tur, der Vater eines ungluͤcklichen Geſchlechts, blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil und nie zu erſtattenden Schadens anfing — und das alles ohne Schuld und meiſtens wi- der ſeinen Willen.
Moͤnche und Fraͤnkiſche Prieſterhorden fuͤhr- ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz
in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0018"n="10"/>
uͤberwindlich — arme Helden! tapfre Vaͤter!<lb/>
ihr ſtrittet vergebens: eure Urenkel nahmen<lb/>
endlich dieſe Feſſel der Freiheit halb gezwun-<lb/>
gen, halb willig an, als eine Feſſel der Ehre<lb/>— am Altar!</p><lb/><p>Wir ſehen dieſe dunkle Zeit oft aus einem<lb/>
viel zu einſeitigen Geſichtspunkt an: Karl der<lb/>
große wird als ein Ruhmwuͤrdiger und ver-<lb/>
dienſtvoller Monarch angeprieſen, der die<lb/>
Deutſche Sprache und Dichtkunſt geliebt, die<lb/>
lateiniſche Sprache und mit ihr die Wiſſen-<lb/>ſchaften, die Religion, und mit ihr das Gluͤck<lb/>
ausgebreitet haͤtte. — Betrachtet ihn naͤher,<lb/>
und ſein Verdienſt ſinkt, wenn ſein Ruhm bil-<lb/>
lig pranget: er ward ein ungluͤcklicher Mann,<lb/>
der als ein Geſchoͤpf von Rom, ein Sohn des<lb/>
Pabſtes, ein Eiferer bis zur Menſchenfeind-<lb/>ſchaft, ein Vertilger der Bardiſchen Littera-<lb/>
tur, der Vater eines ungluͤcklichen Geſchlechts,<lb/>
blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil<lb/>
und nie zu erſtattenden Schadens anfing —<lb/>
und das alles ohne Schuld und meiſtens wi-<lb/>
der ſeinen Willen.</p><lb/><p>Moͤnche und Fraͤnkiſche Prieſterhorden fuͤhr-<lb/>
ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz<lb/><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[10/0018]
uͤberwindlich — arme Helden! tapfre Vaͤter!
ihr ſtrittet vergebens: eure Urenkel nahmen
endlich dieſe Feſſel der Freiheit halb gezwun-
gen, halb willig an, als eine Feſſel der Ehre
— am Altar!
Wir ſehen dieſe dunkle Zeit oft aus einem
viel zu einſeitigen Geſichtspunkt an: Karl der
große wird als ein Ruhmwuͤrdiger und ver-
dienſtvoller Monarch angeprieſen, der die
Deutſche Sprache und Dichtkunſt geliebt, die
lateiniſche Sprache und mit ihr die Wiſſen-
ſchaften, die Religion, und mit ihr das Gluͤck
ausgebreitet haͤtte. — Betrachtet ihn naͤher,
und ſein Verdienſt ſinkt, wenn ſein Ruhm bil-
lig pranget: er ward ein ungluͤcklicher Mann,
der als ein Geſchoͤpf von Rom, ein Sohn des
Pabſtes, ein Eiferer bis zur Menſchenfeind-
ſchaft, ein Vertilger der Bardiſchen Littera-
tur, der Vater eines ungluͤcklichen Geſchlechts,
blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil
und nie zu erſtattenden Schadens anfing —
und das alles ohne Schuld und meiſtens wi-
der ſeinen Willen.
Moͤnche und Fraͤnkiſche Prieſterhorden fuͤhr-
ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz
in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/18>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.