wie sie sich beleben -- ein solcher Dichter köunte, nach meinem vorigen Traume, der erste seyn, der sich eine politische Mythologie schüffe, wie einige neuere Dichter sich eine theologische zu schaffen angefangen. So lange aber, als niemand dieses wagt, so ists das leichtere und sichere, die Mythologie der Alten zu brauchen, die schon ein gefundnes Baugerüste der Dichtkunst ist, und bei einer ungezwungnen und fessellosen Nachbildung noch freilich viel Dichtergeist und poetisches Verdienst zuläßt.
Jch betrachte jetzt einige lateinische Nach- bildungen und Nachahmungen: tritt näher heran, Leser, der du dir nicht die Augen ge- blendet, um eine römische Brille zu gebrau- chen: tritt an die Brustbilder unsrer Römer, um sie zu bewundern, zu studiren, und als Vorbilder zu betrachten. Und wenn du in diesem Vorgemach voll Bilder der Vorfah- ren wandelst: so belebe dich, wenn du einige abgeschlagne Köpfe der Deinen siehest, der Geist des jungen Cato, da er wider Sulla
für
wie ſie ſich beleben — ein ſolcher Dichter koͤunte, nach meinem vorigen Traume, der erſte ſeyn, der ſich eine politiſche Mythologie ſchuͤffe, wie einige neuere Dichter ſich eine theologiſche zu ſchaffen angefangen. So lange aber, als niemand dieſes wagt, ſo iſts das leichtere und ſichere, die Mythologie der Alten zu brauchen, die ſchon ein gefundnes Baugeruͤſte der Dichtkunſt iſt, und bei einer ungezwungnen und feſſelloſen Nachbildung noch freilich viel Dichtergeiſt und poetiſches Verdienſt zulaͤßt.
Jch betrachte jetzt einige lateiniſche Nach- bildungen und Nachahmungen: tritt naͤher heran, Leſer, der du dir nicht die Augen ge- blendet, um eine roͤmiſche Brille zu gebrau- chen: tritt an die Bruſtbilder unſrer Roͤmer, um ſie zu bewundern, zu ſtudiren, und als Vorbilder zu betrachten. Und wenn du in dieſem Vorgemach voll Bilder der Vorfah- ren wandelſt: ſo belebe dich, wenn du einige abgeſchlagne Koͤpfe der Deinen ſieheſt, der Geiſt des jungen Cato, da er wider Sulla
fuͤr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0176"n="168"/>
wie <hirendition="#fr">ſie ſich beleben</hi>— ein ſolcher Dichter<lb/>
koͤunte, nach meinem vorigen Traume, der<lb/>
erſte ſeyn, der ſich eine politiſche Mythologie<lb/>ſchuͤffe, wie einige neuere Dichter ſich eine<lb/>
theologiſche zu ſchaffen angefangen. So<lb/>
lange aber, als niemand dieſes wagt, ſo iſts<lb/>
das leichtere und ſichere, die Mythologie der<lb/>
Alten zu brauchen, die ſchon ein gefundnes<lb/>
Baugeruͤſte der Dichtkunſt iſt, und bei einer<lb/>
ungezwungnen und feſſelloſen Nachbildung<lb/>
noch freilich viel Dichtergeiſt und poetiſches<lb/>
Verdienſt zulaͤßt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch betrachte jetzt einige lateiniſche Nach-<lb/>
bildungen und Nachahmungen: tritt naͤher<lb/>
heran, Leſer, der du dir nicht die Augen ge-<lb/>
blendet, um eine roͤmiſche Brille zu gebrau-<lb/>
chen: tritt an die Bruſtbilder unſrer Roͤmer,<lb/>
um ſie zu bewundern, zu ſtudiren, und als<lb/>
Vorbilder zu betrachten. Und wenn du in<lb/>
dieſem Vorgemach voll Bilder der Vorfah-<lb/>
ren wandelſt: ſo belebe dich, wenn du einige<lb/>
abgeſchlagne Koͤpfe der Deinen ſieheſt, der<lb/>
Geiſt des jungen Cato, da er wider Sulla<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fuͤr</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[168/0176]
wie ſie ſich beleben — ein ſolcher Dichter
koͤunte, nach meinem vorigen Traume, der
erſte ſeyn, der ſich eine politiſche Mythologie
ſchuͤffe, wie einige neuere Dichter ſich eine
theologiſche zu ſchaffen angefangen. So
lange aber, als niemand dieſes wagt, ſo iſts
das leichtere und ſichere, die Mythologie der
Alten zu brauchen, die ſchon ein gefundnes
Baugeruͤſte der Dichtkunſt iſt, und bei einer
ungezwungnen und feſſelloſen Nachbildung
noch freilich viel Dichtergeiſt und poetiſches
Verdienſt zulaͤßt.
Jch betrachte jetzt einige lateiniſche Nach-
bildungen und Nachahmungen: tritt naͤher
heran, Leſer, der du dir nicht die Augen ge-
blendet, um eine roͤmiſche Brille zu gebrau-
chen: tritt an die Bruſtbilder unſrer Roͤmer,
um ſie zu bewundern, zu ſtudiren, und als
Vorbilder zu betrachten. Und wenn du in
dieſem Vorgemach voll Bilder der Vorfah-
ren wandelſt: ſo belebe dich, wenn du einige
abgeſchlagne Koͤpfe der Deinen ſieheſt, der
Geiſt des jungen Cato, da er wider Sulla
fuͤr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/176>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.