"sionen hat Pindar gegen die Alten, und sei- "ne erste Ode spricht gewiß vom Tantalus "mit Delikatesse, Sorgfalt und Wahl, die "er auch in einem Fabelsystem, wie es zu sei- "ner Zeit ausgesehen, nöthig hatte." Dies wollte ich sagen, und dachte dem traurigen Gedanken nach: "wie mißlich es sey, sich "auf sein Gedächtniß zu verlassen --" wie mißlich, einem Kunstrichter zu trauen, der bei jeder Gelegenheit tadeln will, und in vie- len Perioden Non-sens sagt (es dörfte dies viele nicht eben eine ungeheure Hyperbel seyn).
Aber ich dachte, hätte dieser Mann Recht; wer bist du, daß du es wagst, "die Punkte "zu verrücken, die die Alten festgeheftet, und "einen neuen Geschmack einzuführen, der "nothwendig verkehrt seyn muß, weil er von "den Regeln des Alterthums abgeht?" * "Wie? wenn du alsdenn einst im Reich der "Todten vor dem dikasterion ** der Alten "erscheinen sollst, und du sollst mit dem ar- "men Trescho auf den Richtplatz: du magst
"Predi-
* Litt. Br. Th. 21. p. 44.
** Litt. Br. Th. 22. p. 4. 5.
Fragm.IIIS. L
„ſionen hat Pindar gegen die Alten, und ſei- „ne erſte Ode ſpricht gewiß vom Tantalus „mit Delikateſſe, Sorgfalt und Wahl, die „er auch in einem Fabelſyſtem, wie es zu ſei- „ner Zeit ausgeſehen, noͤthig hatte.„ Dies wollte ich ſagen, und dachte dem traurigen Gedanken nach: „wie mißlich es ſey, ſich „auf ſein Gedaͤchtniß zu verlaſſen —„ wie mißlich, einem Kunſtrichter zu trauen, der bei jeder Gelegenheit tadeln will, und in vie- len Perioden Non-ſens ſagt (es doͤrfte dies viele nicht eben eine ungeheure Hyperbel ſeyn).
Aber ich dachte, haͤtte dieſer Mann Recht; wer biſt du, daß du es wagſt, „die Punkte „zu verruͤcken, die die Alten feſtgeheftet, und „einen neuen Geſchmack einzufuͤhren, der „nothwendig verkehrt ſeyn muß, weil er von „den Regeln des Alterthums abgeht?„ * „Wie? wenn du alsdenn einſt im Reich der „Todten vor dem δικαστηριον ** der Alten „erſcheinen ſollſt, und du ſollſt mit dem ar- „men Treſcho auf den Richtplatz: du magſt
„Predi-
* Litt. Br. Th. 21. p. 44.
** Litt. Br. Th. 22. p. 4. 5.
Fragm.IIIS. L
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„ſionen hat Pindar gegen die Alten, und ſei-
„ne erſte Ode ſpricht gewiß vom Tantalus
„mit Delikateſſe, Sorgfalt und Wahl, die
„er auch in einem Fabelſyſtem, wie es zu ſei-
„ner Zeit ausgeſehen, noͤthig hatte.„ Dies
wollte ich ſagen, und dachte dem traurigen
Gedanken nach: „wie mißlich es ſey, ſich
„auf ſein Gedaͤchtniß zu verlaſſen —„ wie
mißlich, einem Kunſtrichter zu trauen, der
bei jeder Gelegenheit tadeln will, und in vie-
len Perioden Non-ſens ſagt (es doͤrfte dies
viele nicht eben eine ungeheure Hyperbel ſeyn).
Aber ich dachte, haͤtte dieſer Mann Recht;
wer biſt du, daß du es wagſt, „die Punkte
„zu verruͤcken, die die Alten feſtgeheftet, und
„einen neuen Geſchmack einzufuͤhren, der
„nothwendig verkehrt ſeyn muß, weil er von
„den Regeln des Alterthums abgeht?„ *
„Wie? wenn du alsdenn einſt im Reich der
„Todten vor dem δικαστηριον ** der Alten
„erſcheinen ſollſt, und du ſollſt mit dem ar-
„men Treſcho auf den Richtplatz: du magſt
„Predi-
* Litt. Br. Th. 21. p. 44.
** Litt. Br. Th. 22. p. 4. 5.
Fragm. III S. L
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/169>, abgerufen am 18.07.2024.
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