"einzigen Ort im Pindar eine solche Jnver- "sion finden; er läßt, wie alle Poeten, diese "Dinge so stehen, wie sie das Fabelsystem "diktirt hat *." Hier wollte ich zwar ein- fallen: "Das möchten auch mythologische "Unwahrheiten seyn. Sobald Sie die Alten "in Jhrem Scholiasteneifer nicht ganz verges- "sen wollen: so werden Sie wissen, daß die "Alten nie ein Fabelsystem gekannt, das sie "wie Luthers Catechismus hergebetet. Sie "werden wissen, daß so viele mythologische "Widersprüche, Ungereimtheiten und Possen "blos daher entstanden, weil die Götterlehre "nie ganz gewesen. Sie werden wissen, daß "es eine neue und alte Mythologie gegeben, "daß jeder Poet es für erlaubt gehalten, Zu- "säzze und Veränderungen zu machen, und die "folgenden Zeitalter endlich alles verunstaltet. "Oder wenn Sie mehr als dies wissen und "behaupten: daß Pindar, so wie alle Poe- "ten, alles hat stehen lassen, wie es ihm dik- "tirt ist; haben Sie es etwa ihm und allen "Poeten diktirt? Wie viele, viele Jnver-
"sionen
* Litt. Br. Th. 21. p. 73. 74.
„einzigen Ort im Pindar eine ſolche Jnver- „ſion finden; er laͤßt, wie alle Poeten, dieſe „Dinge ſo ſtehen, wie ſie das Fabelſyſtem „diktirt hat *.„ Hier wollte ich zwar ein- fallen: „Das moͤchten auch mythologiſche „Unwahrheiten ſeyn. Sobald Sie die Alten „in Jhrem Scholiaſteneifer nicht ganz vergeſ- „ſen wollen: ſo werden Sie wiſſen, daß die „Alten nie ein Fabelſyſtem gekannt, das ſie „wie Luthers Catechiſmus hergebetet. Sie „werden wiſſen, daß ſo viele mythologiſche „Widerſpruͤche, Ungereimtheiten und Poſſen „blos daher entſtanden, weil die Goͤtterlehre „nie ganz geweſen. Sie werden wiſſen, daß „es eine neue und alte Mythologie gegeben, „daß jeder Poet es fuͤr erlaubt gehalten, Zu- „ſaͤzze und Veraͤnderungen zu machen, und die „folgenden Zeitalter endlich alles verunſtaltet. „Oder wenn Sie mehr als dies wiſſen und „behaupten: daß Pindar, ſo wie alle Poe- „ten, alles hat ſtehen laſſen, wie es ihm dik- „tirt iſt; haben Sie es etwa ihm und allen „Poeten diktirt? Wie viele, viele Jnver-
„ſionen
* Litt. Br. Th. 21. p. 73. 74.
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„einzigen Ort im Pindar eine ſolche Jnver-
„ſion finden; er laͤßt, wie alle Poeten, dieſe
„Dinge ſo ſtehen, wie ſie das Fabelſyſtem
„diktirt hat *.„ Hier wollte ich zwar ein-
fallen: „Das moͤchten auch mythologiſche
„Unwahrheiten ſeyn. Sobald Sie die Alten
„in Jhrem Scholiaſteneifer nicht ganz vergeſ-
„ſen wollen: ſo werden Sie wiſſen, daß die
„Alten nie ein Fabelſyſtem gekannt, das ſie
„wie Luthers Catechiſmus hergebetet. Sie
„werden wiſſen, daß ſo viele mythologiſche
„Widerſpruͤche, Ungereimtheiten und Poſſen
„blos daher entſtanden, weil die Goͤtterlehre
„nie ganz geweſen. Sie werden wiſſen, daß
„es eine neue und alte Mythologie gegeben,
„daß jeder Poet es fuͤr erlaubt gehalten, Zu-
„ſaͤzze und Veraͤnderungen zu machen, und die
„folgenden Zeitalter endlich alles verunſtaltet.
„Oder wenn Sie mehr als dies wiſſen und
„behaupten: daß Pindar, ſo wie alle Poe-
„ten, alles hat ſtehen laſſen, wie es ihm dik-
„tirt iſt; haben Sie es etwa ihm und allen
„Poeten diktirt? Wie viele, viele Jnver-
„ſionen
* Litt. Br. Th. 21. p. 73. 74.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/168>, abgerufen am 24.11.2024.
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