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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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eingekleidete Weisheit! Hier belausche man
die Griechen, wie ihre dichterische Einbildung
zu schaffen, wie ihre sinnliche Denkart, ab-
strakte Wahrheit in Bilder zu hüllen wußte,
wie ihr starrendes Auge Bäume als Men-
schen erblickte, Begebenheiten zu Wundern
hob, und Philosophie auf die Erde führte,
um sie in Handlung zu zeigen. Und, da wir
eine neue Welt von Entdeckungen um uns
haben: ihr Dichter unter uns, so kostet von
jenem mächtigen Honig der Alten, damit ihr
eure Augen wacker macht, um auch so viel
Spuren der wandelnden Muse zu erblicken --
Lernet von ihnen die Kunst, euch in eurer ganz
verschiednen Sphäre eben so einen Schatz von
Bildern verdienen zu können. Statt, daß
ihr, nach jenem ekelhaften Gemälde, das, was
Homer gespieen hat, euch belieben lasset: so
stärkt euer Haupt, um aus dem Ocean von
Erfindungen und Besonderheiten, der euch
umfließt, zu trinken, ohne davon zu erblassen.
Jch meyne, statt daß ihr aus den Alten Alle-
gorien klaubet, oft wo sie gewiß daran nicht
gedacht; so lernt von ihnen die Kunst zu alle-

gori-

eingekleidete Weisheit! Hier belauſche man
die Griechen, wie ihre dichteriſche Einbildung
zu ſchaffen, wie ihre ſinnliche Denkart, ab-
ſtrakte Wahrheit in Bilder zu huͤllen wußte,
wie ihr ſtarrendes Auge Baͤume als Men-
ſchen erblickte, Begebenheiten zu Wundern
hob, und Philoſophie auf die Erde fuͤhrte,
um ſie in Handlung zu zeigen. Und, da wir
eine neue Welt von Entdeckungen um uns
haben: ihr Dichter unter uns, ſo koſtet von
jenem maͤchtigen Honig der Alten, damit ihr
eure Augen wacker macht, um auch ſo viel
Spuren der wandelnden Muſe zu erblicken —
Lernet von ihnen die Kunſt, euch in eurer ganz
verſchiednen Sphaͤre eben ſo einen Schatz von
Bildern verdienen zu koͤnnen. Statt, daß
ihr, nach jenem ekelhaften Gemaͤlde, das, was
Homer geſpieen hat, euch belieben laſſet: ſo
ſtaͤrkt euer Haupt, um aus dem Ocean von
Erfindungen und Beſonderheiten, der euch
umfließt, zu trinken, ohne davon zu erblaſſen.
Jch meyne, ſtatt daß ihr aus den Alten Alle-
gorien klaubet, oft wo ſie gewiß daran nicht
gedacht; ſo lernt von ihnen die Kunſt zu alle-

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[157/0165] eingekleidete Weisheit! Hier belauſche man die Griechen, wie ihre dichteriſche Einbildung zu ſchaffen, wie ihre ſinnliche Denkart, ab- ſtrakte Wahrheit in Bilder zu huͤllen wußte, wie ihr ſtarrendes Auge Baͤume als Men- ſchen erblickte, Begebenheiten zu Wundern hob, und Philoſophie auf die Erde fuͤhrte, um ſie in Handlung zu zeigen. Und, da wir eine neue Welt von Entdeckungen um uns haben: ihr Dichter unter uns, ſo koſtet von jenem maͤchtigen Honig der Alten, damit ihr eure Augen wacker macht, um auch ſo viel Spuren der wandelnden Muſe zu erblicken — Lernet von ihnen die Kunſt, euch in eurer ganz verſchiednen Sphaͤre eben ſo einen Schatz von Bildern verdienen zu koͤnnen. Statt, daß ihr, nach jenem ekelhaften Gemaͤlde, das, was Homer geſpieen hat, euch belieben laſſet: ſo ſtaͤrkt euer Haupt, um aus dem Ocean von Erfindungen und Beſonderheiten, der euch umfließt, zu trinken, ohne davon zu erblaſſen. Jch meyne, ſtatt daß ihr aus den Alten Alle- gorien klaubet, oft wo ſie gewiß daran nicht gedacht; ſo lernt von ihnen die Kunſt zu alle- gori-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/165>, abgerufen am 24.11.2024.