Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn man mythologische Geschichte er-
zält, blos weil sie die Alten erzält: so fehlt
wieder der Zweck des Neuen; ich nehme die-
sen aber nicht blos im Gesichtspunkt der Mo-
ral, sondern der Poesie; sonst würde ich alles
einschränken. Soll etwas nicht Uebersezzung
seyn: so muß es für uns einen Zweck haben,
und wo möglich im Ganzen. Man möchte
dies letzte an Wielands komischen Erzä-
lungen
vermissen, allein, die Art der Erzälung
gibt ihm in allen Theilen Zweck und Neuheit
gnug. Wenn im Ganzen nicht gnug Haupt-
zweck
und Hauptton herrschen dörfte: so
sind die komischen Nebenzüge unterhaltend.

Man hüte sich vor der Mythologie, die
durch einzelne Bilder spricht; denn entweder
kann man dieser entrathen, als eines über-
flüßigen Puzzes; oder, wenn man sie zu poe-
tischen Zwecken braucht, so wird leicht spie-
lende und gezwungne Allegorie draus. Hin-
gegen bediene man sich ihrer in Handlung,
dann wird sie nie erscheinen, als wenn sie un-
entbehrlich ist, und wo sie erscheint, wird sie
als poetische Fiktion, gleichsam in dem Ge-
wande der Fabel sich zeigen. Jn diesem Ge-

wande

Wenn man mythologiſche Geſchichte er-
zaͤlt, blos weil ſie die Alten erzaͤlt: ſo fehlt
wieder der Zweck des Neuen; ich nehme die-
ſen aber nicht blos im Geſichtspunkt der Mo-
ral, ſondern der Poeſie; ſonſt wuͤrde ich alles
einſchraͤnken. Soll etwas nicht Ueberſezzung
ſeyn: ſo muß es fuͤr uns einen Zweck haben,
und wo moͤglich im Ganzen. Man moͤchte
dies letzte an Wielands komiſchen Erzaͤ-
lungen
vermiſſen, allein, die Art der Erzaͤlung
gibt ihm in allen Theilen Zweck und Neuheit
gnug. Wenn im Ganzen nicht gnug Haupt-
zweck
und Hauptton herrſchen doͤrfte: ſo
ſind die komiſchen Nebenzuͤge unterhaltend.

Man huͤte ſich vor der Mythologie, die
durch einzelne Bilder ſpricht; denn entweder
kann man dieſer entrathen, als eines uͤber-
fluͤßigen Puzzes; oder, wenn man ſie zu poe-
tiſchen Zwecken braucht, ſo wird leicht ſpie-
lende und gezwungne Allegorie draus. Hin-
gegen bediene man ſich ihrer in Handlung,
dann wird ſie nie erſcheinen, als wenn ſie un-
entbehrlich iſt, und wo ſie erſcheint, wird ſie
als poetiſche Fiktion, gleichſam in dem Ge-
wande der Fabel ſich zeigen. Jn dieſem Ge-

wande
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0160" n="152"/>
                <p>Wenn man mythologi&#x017F;che Ge&#x017F;chichte er-<lb/>
za&#x0364;lt, blos weil &#x017F;ie die Alten erza&#x0364;lt: &#x017F;o fehlt<lb/>
wieder der Zweck des Neuen; ich nehme die-<lb/>
&#x017F;en aber nicht blos im Ge&#x017F;ichtspunkt der Mo-<lb/>
ral, &#x017F;ondern der Poe&#x017F;ie; &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde ich alles<lb/>
ein&#x017F;chra&#x0364;nken. Soll etwas nicht Ueber&#x017F;ezzung<lb/>
&#x017F;eyn: &#x017F;o muß es <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r uns</hi> einen Zweck haben,<lb/>
und wo mo&#x0364;glich im Ganzen. Man mo&#x0364;chte<lb/>
dies letzte an <hi rendition="#fr">Wielands komi&#x017F;chen Erza&#x0364;-<lb/>
lungen</hi> vermi&#x017F;&#x017F;en, allein, die Art der Erza&#x0364;lung<lb/>
gibt ihm in allen Theilen Zweck und Neuheit<lb/>
gnug. Wenn im Ganzen nicht gnug <hi rendition="#fr">Haupt-<lb/>
zweck</hi> und <hi rendition="#fr">Hauptton</hi> herr&#x017F;chen do&#x0364;rfte: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ind die <hi rendition="#fr">komi&#x017F;chen</hi> Nebenzu&#x0364;ge unterhaltend.</p><lb/>
                <p>Man hu&#x0364;te &#x017F;ich vor der Mythologie, die<lb/>
durch <hi rendition="#fr">einzelne</hi> Bilder &#x017F;pricht; denn entweder<lb/>
kann man die&#x017F;er entrathen, als eines u&#x0364;ber-<lb/>
flu&#x0364;ßigen Puzzes; oder, wenn man &#x017F;ie zu poe-<lb/>
ti&#x017F;chen Zwecken braucht, &#x017F;o wird leicht &#x017F;pie-<lb/>
lende und gezwungne Allegorie draus. Hin-<lb/>
gegen bediene man &#x017F;ich ihrer <hi rendition="#fr">in Handlung,</hi><lb/>
dann wird &#x017F;ie nie er&#x017F;cheinen, als wenn &#x017F;ie un-<lb/>
entbehrlich i&#x017F;t, und wo &#x017F;ie er&#x017F;cheint, wird &#x017F;ie<lb/>
als poeti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Fiktion,</hi> gleich&#x017F;am in dem Ge-<lb/>
wande der Fabel &#x017F;ich zeigen. Jn die&#x017F;em Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wande</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0160] Wenn man mythologiſche Geſchichte er- zaͤlt, blos weil ſie die Alten erzaͤlt: ſo fehlt wieder der Zweck des Neuen; ich nehme die- ſen aber nicht blos im Geſichtspunkt der Mo- ral, ſondern der Poeſie; ſonſt wuͤrde ich alles einſchraͤnken. Soll etwas nicht Ueberſezzung ſeyn: ſo muß es fuͤr uns einen Zweck haben, und wo moͤglich im Ganzen. Man moͤchte dies letzte an Wielands komiſchen Erzaͤ- lungen vermiſſen, allein, die Art der Erzaͤlung gibt ihm in allen Theilen Zweck und Neuheit gnug. Wenn im Ganzen nicht gnug Haupt- zweck und Hauptton herrſchen doͤrfte: ſo ſind die komiſchen Nebenzuͤge unterhaltend. Man huͤte ſich vor der Mythologie, die durch einzelne Bilder ſpricht; denn entweder kann man dieſer entrathen, als eines uͤber- fluͤßigen Puzzes; oder, wenn man ſie zu poe- tiſchen Zwecken braucht, ſo wird leicht ſpie- lende und gezwungne Allegorie draus. Hin- gegen bediene man ſich ihrer in Handlung, dann wird ſie nie erſcheinen, als wenn ſie un- entbehrlich iſt, und wo ſie erſcheint, wird ſie als poetiſche Fiktion, gleichſam in dem Ge- wande der Fabel ſich zeigen. Jn dieſem Ge- wande

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/160
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/160>, abgerufen am 24.11.2024.