"römischen Schnitt ist unmöglich." Da würde Shakespear und alle unsre ungebohrne Shakespears, die wir für unsre Bühne hof- fen, da würde Oßian, und Klopstock, und alle Oßians und Klopstocks, die wir noch hoffen, wider mich schreyen. Jch wage es aber auch nicht, ihnen Mythologie zu verbie- ten, sie auch der Oper zu verbieten, und sie blos dem Epigramm * zu erlauben; hier mag jedes Genie selbst sehen, was es zu machen, und der Kunstrichter weiß in diesen Fächern, auch schon mehr, was er zu urtheilen habe.
Herr Klotz scheint überall blos einen Ge- brauch der Mythologie zu meynen, der in leeren Anspielungen, bloßen Wortblumen, aufgedunsenen Vergleichungen, in Einkleidun- gen nach schiefem Geschmack, und in gelehr- ter Bilderkrämerei bestehet. Alsdenn geben wir ihm völlig recht: so bald aber die An- spielung vielsagend, die Wortblume ein Schmuck der Materie, die Vergleichung na- türlich und belebend, die Einkleidung poetisch, täuschend und schöpferisch, die Fülle der Bil- der redend, lebhaft und beschäftigend ist: so
ist
*Epist. Homer. p. 132.
„roͤmiſchen Schnitt iſt unmoͤglich.„ Da wuͤrde Shakeſpear und alle unſre ungebohrne Shakeſpears, die wir fuͤr unſre Buͤhne hof- fen, da wuͤrde Oßian, und Klopſtock, und alle Oßians und Klopſtocks, die wir noch hoffen, wider mich ſchreyen. Jch wage es aber auch nicht, ihnen Mythologie zu verbie- ten, ſie auch der Oper zu verbieten, und ſie blos dem Epigramm * zu erlauben; hier mag jedes Genie ſelbſt ſehen, was es zu machen, und der Kunſtrichter weiß in dieſen Faͤchern, auch ſchon mehr, was er zu urtheilen habe.
Herr Klotz ſcheint uͤberall blos einen Ge- brauch der Mythologie zu meynen, der in leeren Anſpielungen, bloßen Wortblumen, aufgedunſenen Vergleichungen, in Einkleidun- gen nach ſchiefem Geſchmack, und in gelehr- ter Bilderkraͤmerei beſtehet. Alsdenn geben wir ihm voͤllig recht: ſo bald aber die An- ſpielung vielſagend, die Wortblume ein Schmuck der Materie, die Vergleichung na- tuͤrlich und belebend, die Einkleidung poetiſch, taͤuſchend und ſchoͤpferiſch, die Fuͤlle der Bil- der redend, lebhaft und beſchaͤftigend iſt: ſo
iſt
*Epiſt. Homer. p. 132.
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„roͤmiſchen Schnitt iſt unmoͤglich.„ Da
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Shakeſpears, die wir fuͤr unſre Buͤhne hof-
fen, da wuͤrde Oßian, und Klopſtock, und
alle Oßians und Klopſtocks, die wir noch
hoffen, wider mich ſchreyen. Jch wage es
aber auch nicht, ihnen Mythologie zu verbie-
ten, ſie auch der Oper zu verbieten, und ſie
blos dem Epigramm * zu erlauben; hier mag
jedes Genie ſelbſt ſehen, was es zu machen,
und der Kunſtrichter weiß in dieſen Faͤchern,
auch ſchon mehr, was er zu urtheilen habe.
Herr Klotz ſcheint uͤberall blos einen Ge-
brauch der Mythologie zu meynen, der in
leeren Anſpielungen, bloßen Wortblumen,
aufgedunſenen Vergleichungen, in Einkleidun-
gen nach ſchiefem Geſchmack, und in gelehr-
ter Bilderkraͤmerei beſtehet. Alsdenn geben
wir ihm voͤllig recht: ſo bald aber die An-
ſpielung vielſagend, die Wortblume ein
Schmuck der Materie, die Vergleichung na-
tuͤrlich und belebend, die Einkleidung poetiſch,
taͤuſchend und ſchoͤpferiſch, die Fuͤlle der Bil-
der redend, lebhaft und beſchaͤftigend iſt: ſo
iſt
* Epiſt. Homer. p. 132.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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