Charakter, nicht gedankenlose Wiederholun- gen, sondern ein künstlicher Gebrauch edler Personen, die mir einen allgemeinen Satz han- delnd zeigen: kurz! alles was nur der strengste Kunstrichter der Fabel von ihr fodern kann.
Hier steht die artige Fiktion des Sanna- zars an ihrer Stelle, die K. angreift *, sie läßt einen allgemeinen Satz: Venedig über- trifft Rom anschauend erkennen, und wäre Handlung in ihr: so gäbe ich ihr (nicht wie der Venetianische Rath Geldsäcke: denn dies war mehr für die Materie, als die Form,) sondern einen ungehinderten Platz unter Fa- beln. Jetzt ist sie blos Epigramm, da ihr das Fortschreitende der Handlung fehlt: aber kann ich wie Trapp ausrufen: vbi hic acu- men? quid salsum, quid facetum? ne vmbra quidem ingenii! Das acumen und salsum und facetum liegt hier darinn, daß der allgemeine Sazz, der Venedig so schmei- chelte, gleichsam in die Morgenröthe einer Fiktion eingekleidet, und anschauend darge- stellet wird. -- Kann ich wie Klotz aus-
rufen:
*Epist., Homer. p. 130-132.
Charakter, nicht gedankenloſe Wiederholun- gen, ſondern ein kuͤnſtlicher Gebrauch edler Perſonen, die mir einen allgemeinen Satz han- delnd zeigen: kurz! alles was nur der ſtrengſte Kunſtrichter der Fabel von ihr fodern kann.
Hier ſteht die artige Fiktion des Sanna- zars an ihrer Stelle, die K. angreift *, ſie laͤßt einen allgemeinen Satz: Venedig uͤber- trifft Rom anſchauend erkennen, und waͤre Handlung in ihr: ſo gaͤbe ich ihr (nicht wie der Venetianiſche Rath Geldſaͤcke: denn dies war mehr fuͤr die Materie, als die Form,) ſondern einen ungehinderten Platz unter Fa- beln. Jetzt iſt ſie blos Epigramm, da ihr das Fortſchreitende der Handlung fehlt: aber kann ich wie Trapp ausrufen: vbi hic acu- men? quid ſalſum, quid facetum? ne vmbra quidem ingenii! Das acumen und ſalſum und facetum liegt hier darinn, daß der allgemeine Sazz, der Venedig ſo ſchmei- chelte, gleichſam in die Morgenroͤthe einer Fiktion eingekleidet, und anſchauend darge- ſtellet wird. — Kann ich wie Klotz aus-
rufen:
*Epiſt., Homer. p. 130-132.
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Charakter, nicht gedankenloſe Wiederholun-
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Perſonen, die mir einen allgemeinen Satz han-
delnd zeigen: kurz! alles was nur der ſtrengſte
Kunſtrichter der Fabel von ihr fodern kann.
Hier ſteht die artige Fiktion des Sanna-
zars an ihrer Stelle, die K. angreift *, ſie
laͤßt einen allgemeinen Satz: Venedig uͤber-
trifft Rom anſchauend erkennen, und waͤre
Handlung in ihr: ſo gaͤbe ich ihr (nicht
wie der Venetianiſche Rath Geldſaͤcke: denn
dies war mehr fuͤr die Materie, als die Form,)
ſondern einen ungehinderten Platz unter Fa-
beln. Jetzt iſt ſie blos Epigramm, da ihr
das Fortſchreitende der Handlung fehlt: aber
kann ich wie Trapp ausrufen: vbi hic acu-
men? quid ſalſum, quid facetum? ne
vmbra quidem ingenii! Das acumen und
ſalſum und facetum liegt hier darinn, daß
der allgemeine Sazz, der Venedig ſo ſchmei-
chelte, gleichſam in die Morgenroͤthe einer
Fiktion eingekleidet, und anſchauend darge-
ſtellet wird. — Kann ich wie Klotz aus-
rufen:
* Epiſt., Homer. p. 130-132.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/148>, abgerufen am 24.11.2024.
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