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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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und meine Zunge kaum nachstammelt: z. E. *
"Machen Sie mir doch einmal ein Helden-
"gedicht, ein Deutsches, aber nach keinem
"griechischen oder lateinischen Maaßstabe.
"Oder eine Ode; aber das versteht sich, we-
"der nach griechischen noch lateinischen Mu-
"stern. Jch möchte dergleichen wohl sehen!"
Hier lief mir ein Schauder über den Leib, und
meine Hände sanken. Mir strichen zwar
Fingal, und Regner Lodbrog und die
Skaldrischen, und Bardengesänge, und
die Psalmen Davids, und arabische Ge-
dichte, durch die Seele, aber in der Angst
schnell und verworren. Jch wagte nichts
hervorzubringen, denn das gravitätische Kopf-
nicken des Präceptors, bei den Worten:
"ich möchte das wohl sehen! schreckte mich.
"Ei! dachte ich, diese Leute haben vielleicht
"die Punkte, welche die Alten festgeheftet,
"vielleicht unwissentlich aus einander gerissen,
"und dies ist alsdenn ein neuer Geschmack,
"der nothwendig verkehrt seyn muß, -- weil er
"von den Regeln des weisen Alterthums ab-
"geht **." Nun entfiel mir aller Muth zu

hoffen,
* Litt. Br. Th. 21. p. 45.
** Ebendas. p. 44.
J 4

und meine Zunge kaum nachſtammelt: z. E. *
„Machen Sie mir doch einmal ein Helden-
„gedicht, ein Deutſches, aber nach keinem
„griechiſchen oder lateiniſchen Maaßſtabe.
„Oder eine Ode; aber das verſteht ſich, we-
„der nach griechiſchen noch lateiniſchen Mu-
„ſtern. Jch moͤchte dergleichen wohl ſehen!„
Hier lief mir ein Schauder uͤber den Leib, und
meine Haͤnde ſanken. Mir ſtrichen zwar
Fingal, und Regner Lodbrog und die
Skaldriſchen, und Bardengeſaͤnge, und
die Pſalmen Davids, und arabiſche Ge-
dichte, durch die Seele, aber in der Angſt
ſchnell und verworren. Jch wagte nichts
hervorzubringen, denn das gravitaͤtiſche Kopf-
nicken des Praͤceptors, bei den Worten:
„ich moͤchte das wohl ſehen! ſchreckte mich.
„Ei! dachte ich, dieſe Leute haben vielleicht
„die Punkte, welche die Alten feſtgeheftet,
„vielleicht unwiſſentlich aus einander geriſſen,
„und dies iſt alsdenn ein neuer Geſchmack,
„der nothwendig verkehrt ſeyn muß, — weil er
„von den Regeln des weiſen Alterthums ab-
„geht **.„ Nun entfiel mir aller Muth zu

hoffen,
* Litt. Br. Th. 21. p. 45.
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[135/0143] und meine Zunge kaum nachſtammelt: z. E. * „Machen Sie mir doch einmal ein Helden- „gedicht, ein Deutſches, aber nach keinem „griechiſchen oder lateiniſchen Maaßſtabe. „Oder eine Ode; aber das verſteht ſich, we- „der nach griechiſchen noch lateiniſchen Mu- „ſtern. Jch moͤchte dergleichen wohl ſehen!„ Hier lief mir ein Schauder uͤber den Leib, und meine Haͤnde ſanken. Mir ſtrichen zwar Fingal, und Regner Lodbrog und die Skaldriſchen, und Bardengeſaͤnge, und die Pſalmen Davids, und arabiſche Ge- dichte, durch die Seele, aber in der Angſt ſchnell und verworren. Jch wagte nichts hervorzubringen, denn das gravitaͤtiſche Kopf- nicken des Praͤceptors, bei den Worten: „ich moͤchte das wohl ſehen! ſchreckte mich. „Ei! dachte ich, dieſe Leute haben vielleicht „die Punkte, welche die Alten feſtgeheftet, „vielleicht unwiſſentlich aus einander geriſſen, „und dies iſt alsdenn ein neuer Geſchmack, „der nothwendig verkehrt ſeyn muß, — weil er „von den Regeln des weiſen Alterthums ab- „geht **.„ Nun entfiel mir aller Muth zu hoffen, * Litt. Br. Th. 21. p. 45. ** Ebendaſ. p. 44. J 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/143>, abgerufen am 24.11.2024.