hundertmal gebrauchte Personen zu Machinen einer im Ganzen neuen Fiktion braucht, wer in hundertmal gesehene Körper, einen neuen Geist hauchet, daß sie ihm zu großen Zwe- cken dienen, und in einer neuen Sphäre, ih- rem Charakter gemäß, Poetischschön han- deln: der ist mehr als mittelmäßiger Kopf. Nicht darinn besteht sein Verdienst, daß er sie brauchet, (weil er damit seine Känntniß zeiget) nicht darinn, daß er die Schwürigkei- ten ihres abgenutzten Alters zu überwinden wußte, denn warum lies ers, wenn dies sein einziges Verdienst war, nicht gar bleiben? sondern weil er sie zu schönen poetischen Zwecken schön zu brauchen wußte.
Jch will ein Zeugniß anführen, dem der Verfasser vielleicht glauben wird: es erlaubt zwar allein den Künstlern die Mythologie: wenn sie der Dichter aber zu eben den Zwe- cken brauchen kann, und nöthig hat; warum sollen wir hart, oder eigensinnig seyn, und sie ihm denn versagen? Jch sezze meines Zeu- gen eigne Worte her, damit der Leser nichts vom schönen Ausdruck verliere, oder ich un- treu würde: artificum ratio huius disputa-
tionis
hundertmal gebrauchte Perſonen zu Machinen einer im Ganzen neuen Fiktion braucht, wer in hundertmal geſehene Koͤrper, einen neuen Geiſt hauchet, daß ſie ihm zu großen Zwe- cken dienen, und in einer neuen Sphaͤre, ih- rem Charakter gemaͤß, Poetiſchſchoͤn han- deln: der iſt mehr als mittelmaͤßiger Kopf. Nicht darinn beſteht ſein Verdienſt, daß er ſie brauchet, (weil er damit ſeine Kaͤnntniß zeiget) nicht darinn, daß er die Schwuͤrigkei- ten ihres abgenutzten Alters zu uͤberwinden wußte, denn warum lies ers, wenn dies ſein einziges Verdienſt war, nicht gar bleiben? ſondern weil er ſie zu ſchoͤnen poetiſchen Zwecken ſchoͤn zu brauchen wußte.
Jch will ein Zeugniß anfuͤhren, dem der Verfaſſer vielleicht glauben wird: es erlaubt zwar allein den Kuͤnſtlern die Mythologie: wenn ſie der Dichter aber zu eben den Zwe- cken brauchen kann, und noͤthig hat; warum ſollen wir hart, oder eigenſinnig ſeyn, und ſie ihm denn verſagen? Jch ſezze meines Zeu- gen eigne Worte her, damit der Leſer nichts vom ſchoͤnen Ausdruck verliere, oder ich un- treu wuͤrde: artificum ratio huius diſputa-
tionis
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hundertmal gebrauchte Perſonen zu Machinen
einer im Ganzen neuen Fiktion braucht, wer
in hundertmal geſehene Koͤrper, einen neuen
Geiſt hauchet, daß ſie ihm zu großen Zwe-
cken dienen, und in einer neuen Sphaͤre, ih-
rem Charakter gemaͤß, Poetiſchſchoͤn han-
deln: der iſt mehr als mittelmaͤßiger Kopf.
Nicht darinn beſteht ſein Verdienſt, daß er ſie
brauchet, (weil er damit ſeine Kaͤnntniß
zeiget) nicht darinn, daß er die Schwuͤrigkei-
ten ihres abgenutzten Alters zu uͤberwinden
wußte, denn warum lies ers, wenn dies ſein
einziges Verdienſt war, nicht gar bleiben?
ſondern weil er ſie zu ſchoͤnen poetiſchen
Zwecken ſchoͤn zu brauchen wußte.
Jch will ein Zeugniß anfuͤhren, dem der
Verfaſſer vielleicht glauben wird: es erlaubt
zwar allein den Kuͤnſtlern die Mythologie:
wenn ſie der Dichter aber zu eben den Zwe-
cken brauchen kann, und noͤthig hat; warum
ſollen wir hart, oder eigenſinnig ſeyn, und
ſie ihm denn verſagen? Jch ſezze meines Zeu-
gen eigne Worte her, damit der Leſer nichts
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/135>, abgerufen am 24.11.2024.
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