daß die lateinische Sprache einigen Ein- druck in das Jnnere des wissenschaftli- chen, insonderheit philosophischen Vor- trages gemacht habe, und daß hier der Ausdruck oft den Gedanken beherrsche.
Ob sich gleich jede Wahrheit, die ich doch, um sie deutlich zu denken, nicht ohne Worte denken kann, in jeder ausgebildeten Sprache muß sagen lassen; so daß es nachher blos die Pflicht der Sprachweisen ist, die Sprache da- zu zu schaffen, daß sie jede Wahrheit leicht und ganz und nachdrücklich sage: so rede ich hievon doch jetzt gar nicht. Jch ver- werfe bei Lehrbüchern nicht nur nicht die la- teinische Sprache: sondern wünsche ihr aus guten Ursachen, die Ehre wieder zu erobern, die Sprache wahrer Systeme, und das all- gemeine Band der Gelehrsamkeit zu seyn. Seit dem man von ihr abgewichen: so sind jene neumodische Lehrbücher erschienen, die ästhetische Kapriolen schneiden, wo sie mit vestem philosophischen Tritt einhergehen soll- ten. Jch gebe es also zu, daß, wenn ein blos dogmatisches Buch, durch eine lateini- sche Uebersezzung viel von seinem Jnnern ver-
liert:
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daß die lateiniſche Sprache einigen Ein- druck in das Jnnere des wiſſenſchaftli- chen, inſonderheit philoſophiſchen Vor- trages gemacht habe, und daß hier der Ausdruck oft den Gedanken beherrſche.
Ob ſich gleich jede Wahrheit, die ich doch, um ſie deutlich zu denken, nicht ohne Worte denken kann, in jeder ausgebildeten Sprache muß ſagen laſſen; ſo daß es nachher blos die Pflicht der Sprachweiſen iſt, die Sprache da- zu zu ſchaffen, daß ſie jede Wahrheit leicht und ganz und nachdruͤcklich ſage: ſo rede ich hievon doch jetzt gar nicht. Jch ver- werfe bei Lehrbuͤchern nicht nur nicht die la- teiniſche Sprache: ſondern wuͤnſche ihr aus guten Urſachen, die Ehre wieder zu erobern, die Sprache wahrer Syſteme, und das all- gemeine Band der Gelehrſamkeit zu ſeyn. Seit dem man von ihr abgewichen: ſo ſind jene neumodiſche Lehrbuͤcher erſchienen, die aͤſthetiſche Kapriolen ſchneiden, wo ſie mit veſtem philoſophiſchen Tritt einhergehen ſoll- ten. Jch gebe es alſo zu, daß, wenn ein blos dogmatiſches Buch, durch eine lateini- ſche Ueberſezzung viel von ſeinem Jnnern ver-
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daß die lateiniſche Sprache einigen Ein-
druck in das Jnnere des wiſſenſchaftli-
chen, inſonderheit philoſophiſchen Vor-
trages gemacht habe, und daß hier der
Ausdruck oft den Gedanken beherrſche.
Ob ſich gleich jede Wahrheit, die ich doch,
um ſie deutlich zu denken, nicht ohne Worte
denken kann, in jeder ausgebildeten Sprache
muß ſagen laſſen; ſo daß es nachher blos die
Pflicht der Sprachweiſen iſt, die Sprache da-
zu zu ſchaffen, daß ſie jede Wahrheit leicht
und ganz und nachdruͤcklich ſage: ſo rede
ich hievon doch jetzt gar nicht. Jch ver-
werfe bei Lehrbuͤchern nicht nur nicht die la-
teiniſche Sprache: ſondern wuͤnſche ihr aus
guten Urſachen, die Ehre wieder zu erobern,
die Sprache wahrer Syſteme, und das all-
gemeine Band der Gelehrſamkeit zu ſeyn.
Seit dem man von ihr abgewichen: ſo ſind
jene neumodiſche Lehrbuͤcher erſchienen, die
aͤſthetiſche Kapriolen ſchneiden, wo ſie mit
veſtem philoſophiſchen Tritt einhergehen ſoll-
ten. Jch gebe es alſo zu, daß, wenn ein
blos dogmatiſches Buch, durch eine lateini-
ſche Ueberſezzung viel von ſeinem Jnnern ver-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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