sezzen, wohin man will: sonst verfällt man in eine Philosophie der Faulen.
2. Jch habe jetzt die Materie der Philo- sophie erwogen, von der Form kann ich kür- zer seyn. Will man jene Metaphysik nennen, so gibt es eine Grundwissenschaft der Physik, Mathematik, Logik und Moral, die die Be- griffe dieser Wissenschaften von ihrer klaren Verständlichkeit bis zur einfachsten Deutlich- keit fortführt, und also ein Schatz deutlicher Begriffe ist. Die formelle Philosophie hat es zum Zweck, daß, indem wir nach und nach zu jenem Schatz gelangen, wir selbst den- ken, und da wir nie ohne Worte denken, uns ausdrücken lernen. Hier wird es schon ein- leuchtender, daß ich dies auf keine andre Art lerne, als wenn ich mit großen Meistern mit; daß ich aber auf keine Art so leicht diesen Zweck verfehle, als wenn ich ihnen blos nach denke. Mit dem ersten rechtfertigen sich auf einmal die Kunstwörter der Philosophie gegen alle Spöttereien der Unwissenden: sie sind nö- thig und nützlich, denn an ihnen klebt der Gedanke großer Philosophen, in deren Geist ich mich durch diese Worte sezze, mit ihnen
denke,
Fragm.IIIS. H
ſezzen, wohin man will: ſonſt verfaͤllt man in eine Philoſophie der Faulen.
2. Jch habe jetzt die Materie der Philo- ſophie erwogen, von der Form kann ich kuͤr- zer ſeyn. Will man jene Metaphyſik nennen, ſo gibt es eine Grundwiſſenſchaft der Phyſik, Mathematik, Logik und Moral, die die Be- griffe dieſer Wiſſenſchaften von ihrer klaren Verſtaͤndlichkeit bis zur einfachſten Deutlich- keit fortfuͤhrt, und alſo ein Schatz deutlicher Begriffe iſt. Die formelle Philoſophie hat es zum Zweck, daß, indem wir nach und nach zu jenem Schatz gelangen, wir ſelbſt den- ken, und da wir nie ohne Worte denken, uns ausdruͤcken lernen. Hier wird es ſchon ein- leuchtender, daß ich dies auf keine andre Art lerne, als wenn ich mit großen Meiſtern mit; daß ich aber auf keine Art ſo leicht dieſen Zweck verfehle, als wenn ich ihnen blos nach denke. Mit dem erſten rechtfertigen ſich auf einmal die Kunſtwoͤrter der Philoſophie gegen alle Spoͤttereien der Unwiſſenden: ſie ſind noͤ- thig und nuͤtzlich, denn an ihnen klebt der Gedanke großer Philoſophen, in deren Geiſt ich mich durch dieſe Worte ſezze, mit ihnen
denke,
Fragm.IIIS. H
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0121"n="113"/>ſezzen, wohin man will: ſonſt verfaͤllt man<lb/>
in eine Philoſophie der Faulen.</p><lb/><p>2. Jch habe jetzt die Materie der Philo-<lb/>ſophie erwogen, von der <hirendition="#fr">Form</hi> kann ich kuͤr-<lb/>
zer ſeyn. Will man jene Metaphyſik nennen,<lb/>ſo gibt es eine Grundwiſſenſchaft der <hirendition="#fr">Phyſik,<lb/>
Mathematik, Logik</hi> und <hirendition="#fr">Moral,</hi> die die Be-<lb/>
griffe dieſer Wiſſenſchaften von ihrer klaren<lb/>
Verſtaͤndlichkeit bis zur einfachſten Deutlich-<lb/>
keit fortfuͤhrt, und alſo ein Schatz <hirendition="#fr">deutlicher</hi><lb/>
Begriffe iſt. Die <hirendition="#fr">formelle</hi> Philoſophie hat<lb/>
es zum Zweck, daß, indem wir nach und nach<lb/>
zu jenem <hirendition="#fr">Schatz</hi> gelangen, <hirendition="#fr">wir ſelbſt den-<lb/>
ken,</hi> und da wir nie ohne Worte denken, <hirendition="#fr">uns<lb/>
ausdruͤcken</hi> lernen. Hier wird es ſchon ein-<lb/>
leuchtender, daß ich dies auf keine andre Art<lb/>
lerne, als wenn ich mit großen Meiſtern <hirendition="#fr">mit;</hi><lb/>
daß ich aber auf keine Art ſo leicht dieſen<lb/>
Zweck verfehle, als wenn ich ihnen blos <hirendition="#fr">nach</hi><lb/>
denke. Mit dem erſten rechtfertigen ſich auf<lb/>
einmal die Kunſtwoͤrter der Philoſophie gegen<lb/>
alle Spoͤttereien der Unwiſſenden: ſie ſind <hirendition="#fr">noͤ-<lb/>
thig</hi> und <hirendition="#fr">nuͤtzlich,</hi> denn an ihnen klebt der<lb/>
Gedanke großer Philoſophen, in deren Geiſt<lb/>
ich mich durch dieſe Worte ſezze, mit ihnen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Fragm.</hi><hirendition="#aq">III</hi><hirendition="#fr">S.</hi> H</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">denke,</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[113/0121]
ſezzen, wohin man will: ſonſt verfaͤllt man
in eine Philoſophie der Faulen.
2. Jch habe jetzt die Materie der Philo-
ſophie erwogen, von der Form kann ich kuͤr-
zer ſeyn. Will man jene Metaphyſik nennen,
ſo gibt es eine Grundwiſſenſchaft der Phyſik,
Mathematik, Logik und Moral, die die Be-
griffe dieſer Wiſſenſchaften von ihrer klaren
Verſtaͤndlichkeit bis zur einfachſten Deutlich-
keit fortfuͤhrt, und alſo ein Schatz deutlicher
Begriffe iſt. Die formelle Philoſophie hat
es zum Zweck, daß, indem wir nach und nach
zu jenem Schatz gelangen, wir ſelbſt den-
ken, und da wir nie ohne Worte denken, uns
ausdruͤcken lernen. Hier wird es ſchon ein-
leuchtender, daß ich dies auf keine andre Art
lerne, als wenn ich mit großen Meiſtern mit;
daß ich aber auf keine Art ſo leicht dieſen
Zweck verfehle, als wenn ich ihnen blos nach
denke. Mit dem erſten rechtfertigen ſich auf
einmal die Kunſtwoͤrter der Philoſophie gegen
alle Spoͤttereien der Unwiſſenden: ſie ſind noͤ-
thig und nuͤtzlich, denn an ihnen klebt der
Gedanke großer Philoſophen, in deren Geiſt
ich mich durch dieſe Worte ſezze, mit ihnen
denke,
Fragm. III S. H
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/121>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.