Jn der Sprache der sinnlichen Welt, über- all, wo ich blos klar denken muß, ohne doch immer des Unterschiedes mir bewußt seyn zu dörfen; vorzüglich in der Dichtkunst, wo der sinnlich lebhafte Ausdruck alles ist: klebt also der Gedanke sehr am Worte -- aber jetzt tre- ten wir auf ein ganz ander Feld, wo sich al- les verändert zeigt. Die Weltweisheit: wiefern kann und muß in ihr Gedanke am Ausdruck haften. Fragmente liefern keine Abhandlungen, ich zeichne also Gesichts- punkte hin.
1. Man kann zu einem Begriffe kommen, sinnlich, wo man mit dem anschauenden Blicke zugleich den Namen verbindet: dieser Weg, zu Begriffen zu gelangen, ist offenbar nicht die Straße der Philosophie: sie verirrt sich unter qualitates occultas, wenn sie mit dem Verstande empfinden will, und das Em- pfundene mit einem von ihm unabtrennbaren Namen umgibt. Jch weiß nicht, ob ich mich deutlich genug erkläre: damit man nicht glau- be, ich wollte die Weltweisheit, dem Boden
der
10.
Jn der Sprache der ſinnlichen Welt, uͤber- all, wo ich blos klar denken muß, ohne doch immer des Unterſchiedes mir bewußt ſeyn zu doͤrfen; vorzuͤglich in der Dichtkunſt, wo der ſinnlich lebhafte Ausdruck alles iſt: klebt alſo der Gedanke ſehr am Worte — aber jetzt tre- ten wir auf ein ganz ander Feld, wo ſich al- les veraͤndert zeigt. Die Weltweisheit: wiefern kann und muß in ihr Gedanke am Ausdruck haften. Fragmente liefern keine Abhandlungen, ich zeichne alſo Geſichts- punkte hin.
1. Man kann zu einem Begriffe kommen, ſinnlich, wo man mit dem anſchauenden Blicke zugleich den Namen verbindet: dieſer Weg, zu Begriffen zu gelangen, iſt offenbar nicht die Straße der Philoſophie: ſie verirrt ſich unter qualitates occultas, wenn ſie mit dem Verſtande empfinden will, und das Em- pfundene mit einem von ihm unabtrennbaren Namen umgibt. Jch weiß nicht, ob ich mich deutlich genug erklaͤre: damit man nicht glau- be, ich wollte die Weltweisheit, dem Boden
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10.
Jn der Sprache der ſinnlichen Welt, uͤber-
all, wo ich blos klar denken muß, ohne doch
immer des Unterſchiedes mir bewußt ſeyn zu
doͤrfen; vorzuͤglich in der Dichtkunſt, wo der
ſinnlich lebhafte Ausdruck alles iſt: klebt alſo
der Gedanke ſehr am Worte — aber jetzt tre-
ten wir auf ein ganz ander Feld, wo ſich al-
les veraͤndert zeigt. Die Weltweisheit:
wiefern kann und muß in ihr Gedanke am
Ausdruck haften. Fragmente liefern keine
Abhandlungen, ich zeichne alſo Geſichts-
punkte hin.
1. Man kann zu einem Begriffe kommen,
ſinnlich, wo man mit dem anſchauenden
Blicke zugleich den Namen verbindet: dieſer
Weg, zu Begriffen zu gelangen, iſt offenbar
nicht die Straße der Philoſophie: ſie verirrt
ſich unter qualitates occultas, wenn ſie mit
dem Verſtande empfinden will, und das Em-
pfundene mit einem von ihm unabtrennbaren
Namen umgibt. Jch weiß nicht, ob ich mich
deutlich genug erklaͤre: damit man nicht glau-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/110>, abgerufen am 21.11.2024.
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