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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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10.

Jn der Sprache der sinnlichen Welt, über-
all, wo ich blos klar denken muß, ohne doch
immer des Unterschiedes mir bewußt seyn zu
dörfen; vorzüglich in der Dichtkunst, wo der
sinnlich lebhafte Ausdruck alles ist: klebt also
der Gedanke sehr am Worte -- aber jetzt tre-
ten wir auf ein ganz ander Feld, wo sich al-
les verändert zeigt. Die Weltweisheit:
wiefern kann und muß in ihr Gedanke am
Ausdruck
haften. Fragmente liefern keine
Abhandlungen, ich zeichne also Gesichts-
punkte hin.

1. Man kann zu einem Begriffe kommen,
sinnlich, wo man mit dem anschauenden
Blicke
zugleich den Namen verbindet: dieser
Weg, zu Begriffen zu gelangen, ist offenbar
nicht die Straße der Philosophie: sie verirrt
sich unter qualitates occultas, wenn sie mit
dem Verstande empfinden will, und das Em-
pfundene mit einem von ihm unabtrennbaren
Namen umgibt. Jch weiß nicht, ob ich mich
deutlich genug erkläre: damit man nicht glau-
be, ich wollte die Weltweisheit, dem Boden

der
10.

Jn der Sprache der ſinnlichen Welt, uͤber-
all, wo ich blos klar denken muß, ohne doch
immer des Unterſchiedes mir bewußt ſeyn zu
doͤrfen; vorzuͤglich in der Dichtkunſt, wo der
ſinnlich lebhafte Ausdruck alles iſt: klebt alſo
der Gedanke ſehr am Worte — aber jetzt tre-
ten wir auf ein ganz ander Feld, wo ſich al-
les veraͤndert zeigt. Die Weltweisheit:
wiefern kann und muß in ihr Gedanke am
Ausdruck
haften. Fragmente liefern keine
Abhandlungen, ich zeichne alſo Geſichts-
punkte hin.

1. Man kann zu einem Begriffe kommen,
ſinnlich, wo man mit dem anſchauenden
Blicke
zugleich den Namen verbindet: dieſer
Weg, zu Begriffen zu gelangen, iſt offenbar
nicht die Straße der Philoſophie: ſie verirrt
ſich unter qualitates occultas, wenn ſie mit
dem Verſtande empfinden will, und das Em-
pfundene mit einem von ihm unabtrennbaren
Namen umgibt. Jch weiß nicht, ob ich mich
deutlich genug erklaͤre: damit man nicht glau-
be, ich wollte die Weltweisheit, dem Boden

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[102/0110] 10. Jn der Sprache der ſinnlichen Welt, uͤber- all, wo ich blos klar denken muß, ohne doch immer des Unterſchiedes mir bewußt ſeyn zu doͤrfen; vorzuͤglich in der Dichtkunſt, wo der ſinnlich lebhafte Ausdruck alles iſt: klebt alſo der Gedanke ſehr am Worte — aber jetzt tre- ten wir auf ein ganz ander Feld, wo ſich al- les veraͤndert zeigt. Die Weltweisheit: wiefern kann und muß in ihr Gedanke am Ausdruck haften. Fragmente liefern keine Abhandlungen, ich zeichne alſo Geſichts- punkte hin. 1. Man kann zu einem Begriffe kommen, ſinnlich, wo man mit dem anſchauenden Blicke zugleich den Namen verbindet: dieſer Weg, zu Begriffen zu gelangen, iſt offenbar nicht die Straße der Philoſophie: ſie verirrt ſich unter qualitates occultas, wenn ſie mit dem Verſtande empfinden will, und das Em- pfundene mit einem von ihm unabtrennbaren Namen umgibt. Jch weiß nicht, ob ich mich deutlich genug erklaͤre: damit man nicht glau- be, ich wollte die Weltweisheit, dem Boden der

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/110>, abgerufen am 21.11.2024.