Zwecke so schrieb, und schreiben mußte, wo er als ein Höfling erschiene, der voll feiner und galanter Scherze, Gedanken und An- spielungen ist, die gleichsam ihre Welt ha- ben müssen, in der sie leben, aus der sie ihre Reize nehmen, ohne die sie todt sind. Das hieße Horaz erwecken, seine Gedichte in sei- ne Person verwandeln, und mündlich von ihm lernen: das hieße, den Ausdruck aus dem Gedanken, den Gedanken aus der vorlie- genden Sache erklären: und alle drei be- leben! -- So lange das aber ein Projekt, bei allen Werken des Alterthums schwer, und bei einigen unmöglich bleibt: so lange man die Alten als todte Männer behandelt, die als Schulmeister schrieben, damit sie einst in den eisenharten Händen eines Schulmeisters clas- sische Autoren würden: so kann man sie frei- lich ungestört und zum Lobe classisch nachah- men! Wie vieles stirbt außerdem mit einer Sprache? Zwischen diesen Wörtern ist ein Unterschied in der Würde; er ist verloh- ren; ich brauche eins fürs andre, und ein Römer muß vielleicht über die ernsthafteste Stelle lachen! -- Zwischen diesen ist ein Un-
terschied
Zwecke ſo ſchrieb, und ſchreiben mußte, wo er als ein Hoͤfling erſchiene, der voll feiner und galanter Scherze, Gedanken und An- ſpielungen iſt, die gleichſam ihre Welt ha- ben muͤſſen, in der ſie leben, aus der ſie ihre Reize nehmen, ohne die ſie todt ſind. Das hieße Horaz erwecken, ſeine Gedichte in ſei- ne Perſon verwandeln, und muͤndlich von ihm lernen: das hieße, den Ausdruck aus dem Gedanken, den Gedanken aus der vorlie- genden Sache erklaͤren: und alle drei be- leben! — So lange das aber ein Projekt, bei allen Werken des Alterthums ſchwer, und bei einigen unmoͤglich bleibt: ſo lange man die Alten als todte Maͤnner behandelt, die als Schulmeiſter ſchrieben, damit ſie einſt in den eiſenharten Haͤnden eines Schulmeiſters claſ- ſiſche Autoren wuͤrden: ſo kann man ſie frei- lich ungeſtoͤrt und zum Lobe claſſiſch nachah- men! Wie vieles ſtirbt außerdem mit einer Sprache? Zwiſchen dieſen Woͤrtern iſt ein Unterſchied in der Wuͤrde; er iſt verloh- ren; ich brauche eins fuͤrs andre, und ein Roͤmer muß vielleicht uͤber die ernſthafteſte Stelle lachen! — Zwiſchen dieſen iſt ein Un-
terſchied
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0102"n="94"/><hirendition="#fr">Zwecke</hi>ſo ſchrieb, und ſchreiben mußte, wo<lb/>
er als ein <hirendition="#fr">Hoͤfling</hi> erſchiene, der voll <hirendition="#fr">feiner<lb/>
und galanter Scherze, Gedanken</hi> und <hirendition="#fr">An-<lb/>ſpielungen</hi> iſt, die gleichſam <hirendition="#fr">ihre Welt</hi> ha-<lb/>
ben muͤſſen, in der ſie leben, aus der ſie ihre<lb/>
Reize nehmen, ohne die ſie todt ſind. Das<lb/>
hieße <hirendition="#fr">Horaz erwecken,</hi>ſeine Gedichte in ſei-<lb/>
ne Perſon verwandeln, und muͤndlich von ihm<lb/>
lernen: das hieße, den <hirendition="#fr">Ausdruck</hi> aus dem<lb/><hirendition="#fr">Gedanken,</hi> den <hirendition="#fr">Gedanken</hi> aus der <hirendition="#fr">vorlie-<lb/>
genden Sache</hi> erklaͤren: und alle drei be-<lb/>
leben! — So lange das aber ein Projekt,<lb/>
bei allen Werken des Alterthums ſchwer, und<lb/>
bei einigen unmoͤglich bleibt: ſo lange man<lb/>
die Alten als todte Maͤnner behandelt, die als<lb/>
Schulmeiſter ſchrieben, damit ſie einſt in den<lb/>
eiſenharten Haͤnden eines Schulmeiſters claſ-<lb/>ſiſche Autoren wuͤrden: ſo kann man ſie frei-<lb/>
lich ungeſtoͤrt und zum Lobe claſſiſch nachah-<lb/>
men! Wie vieles ſtirbt außerdem mit einer<lb/>
Sprache? Zwiſchen dieſen Woͤrtern iſt ein<lb/>
Unterſchied in der <hirendition="#fr">Wuͤrde;</hi> er iſt verloh-<lb/>
ren; ich brauche eins fuͤrs andre, und ein<lb/>
Roͤmer muß vielleicht uͤber die ernſthafteſte<lb/>
Stelle lachen! — Zwiſchen dieſen iſt ein Un-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">terſchied</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[94/0102]
Zwecke ſo ſchrieb, und ſchreiben mußte, wo
er als ein Hoͤfling erſchiene, der voll feiner
und galanter Scherze, Gedanken und An-
ſpielungen iſt, die gleichſam ihre Welt ha-
ben muͤſſen, in der ſie leben, aus der ſie ihre
Reize nehmen, ohne die ſie todt ſind. Das
hieße Horaz erwecken, ſeine Gedichte in ſei-
ne Perſon verwandeln, und muͤndlich von ihm
lernen: das hieße, den Ausdruck aus dem
Gedanken, den Gedanken aus der vorlie-
genden Sache erklaͤren: und alle drei be-
leben! — So lange das aber ein Projekt,
bei allen Werken des Alterthums ſchwer, und
bei einigen unmoͤglich bleibt: ſo lange man
die Alten als todte Maͤnner behandelt, die als
Schulmeiſter ſchrieben, damit ſie einſt in den
eiſenharten Haͤnden eines Schulmeiſters claſ-
ſiſche Autoren wuͤrden: ſo kann man ſie frei-
lich ungeſtoͤrt und zum Lobe claſſiſch nachah-
men! Wie vieles ſtirbt außerdem mit einer
Sprache? Zwiſchen dieſen Woͤrtern iſt ein
Unterſchied in der Wuͤrde; er iſt verloh-
ren; ich brauche eins fuͤrs andre, und ein
Roͤmer muß vielleicht uͤber die ernſthafteſte
Stelle lachen! — Zwiſchen dieſen iſt ein Un-
terſchied
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/102>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.