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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Zwecke so schrieb, und schreiben mußte, wo
er als ein Höfling erschiene, der voll feiner
und galanter Scherze, Gedanken
und An-
spielungen
ist, die gleichsam ihre Welt ha-
ben müssen, in der sie leben, aus der sie ihre
Reize nehmen, ohne die sie todt sind. Das
hieße Horaz erwecken, seine Gedichte in sei-
ne Person verwandeln, und mündlich von ihm
lernen: das hieße, den Ausdruck aus dem
Gedanken, den Gedanken aus der vorlie-
genden Sache
erklären: und alle drei be-
leben! -- So lange das aber ein Projekt,
bei allen Werken des Alterthums schwer, und
bei einigen unmöglich bleibt: so lange man
die Alten als todte Männer behandelt, die als
Schulmeister schrieben, damit sie einst in den
eisenharten Händen eines Schulmeisters clas-
sische Autoren würden: so kann man sie frei-
lich ungestört und zum Lobe classisch nachah-
men! Wie vieles stirbt außerdem mit einer
Sprache? Zwischen diesen Wörtern ist ein
Unterschied in der Würde; er ist verloh-
ren; ich brauche eins fürs andre, und ein
Römer muß vielleicht über die ernsthafteste
Stelle lachen! -- Zwischen diesen ist ein Un-

terschied

Zwecke ſo ſchrieb, und ſchreiben mußte, wo
er als ein Hoͤfling erſchiene, der voll feiner
und galanter Scherze, Gedanken
und An-
ſpielungen
iſt, die gleichſam ihre Welt ha-
ben muͤſſen, in der ſie leben, aus der ſie ihre
Reize nehmen, ohne die ſie todt ſind. Das
hieße Horaz erwecken, ſeine Gedichte in ſei-
ne Perſon verwandeln, und muͤndlich von ihm
lernen: das hieße, den Ausdruck aus dem
Gedanken, den Gedanken aus der vorlie-
genden Sache
erklaͤren: und alle drei be-
leben! — So lange das aber ein Projekt,
bei allen Werken des Alterthums ſchwer, und
bei einigen unmoͤglich bleibt: ſo lange man
die Alten als todte Maͤnner behandelt, die als
Schulmeiſter ſchrieben, damit ſie einſt in den
eiſenharten Haͤnden eines Schulmeiſters claſ-
ſiſche Autoren wuͤrden: ſo kann man ſie frei-
lich ungeſtoͤrt und zum Lobe claſſiſch nachah-
men! Wie vieles ſtirbt außerdem mit einer
Sprache? Zwiſchen dieſen Woͤrtern iſt ein
Unterſchied in der Wuͤrde; er iſt verloh-
ren; ich brauche eins fuͤrs andre, und ein
Roͤmer muß vielleicht uͤber die ernſthafteſte
Stelle lachen! — Zwiſchen dieſen iſt ein Un-

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[94/0102] Zwecke ſo ſchrieb, und ſchreiben mußte, wo er als ein Hoͤfling erſchiene, der voll feiner und galanter Scherze, Gedanken und An- ſpielungen iſt, die gleichſam ihre Welt ha- ben muͤſſen, in der ſie leben, aus der ſie ihre Reize nehmen, ohne die ſie todt ſind. Das hieße Horaz erwecken, ſeine Gedichte in ſei- ne Perſon verwandeln, und muͤndlich von ihm lernen: das hieße, den Ausdruck aus dem Gedanken, den Gedanken aus der vorlie- genden Sache erklaͤren: und alle drei be- leben! — So lange das aber ein Projekt, bei allen Werken des Alterthums ſchwer, und bei einigen unmoͤglich bleibt: ſo lange man die Alten als todte Maͤnner behandelt, die als Schulmeiſter ſchrieben, damit ſie einſt in den eiſenharten Haͤnden eines Schulmeiſters claſ- ſiſche Autoren wuͤrden: ſo kann man ſie frei- lich ungeſtoͤrt und zum Lobe claſſiſch nachah- men! Wie vieles ſtirbt außerdem mit einer Sprache? Zwiſchen dieſen Woͤrtern iſt ein Unterſchied in der Wuͤrde; er iſt verloh- ren; ich brauche eins fuͤrs andre, und ein Roͤmer muß vielleicht uͤber die ernſthafteſte Stelle lachen! — Zwiſchen dieſen iſt ein Un- terſchied

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/102>, abgerufen am 21.11.2024.