"geborgte Erdichtungen sind Geschöpfe ohne "Erde: ihre nachgeahmte Empfindungen keine "Empfindungen: der Ausdruck erreicht sein "Original oft nur, wo es sich dem Uebertriebe- "nen nähert." Jch habe viel gesagt; den Be- weis überlasse ich einem jeden, der Morgen- ländische Gedichte zu lesen weiß.
7.
Elend nachahmen sollen wir also gar nicht, und ein Hudemann ist in seinem Lucifer und in seinem Tode Abels der Bemerkung und der Aergerniß unwürdig -- aber wie können wir uns von solchen Hudemanns befreien? Wenn wir uns aufmuntern, die Morgenländischen Gedichte, als Gedichte zu studiren, erklären zu lernen und bekannt zu machen. Unmöglich können wir sie übersez- zen, und nachahmen, ehe wir sie verstehen, und die Morgenländische Philologie, die in unserm Deutschlande seit einiger Zeit blühet, wird, wenn sie sich mit Geschmack vereinigt, schlechte und dumme Nachahmer zerstreuen.
Der
„geborgte Erdichtungen ſind Geſchoͤpfe ohne „Erde: ihre nachgeahmte Empfindungen keine „Empfindungen: der Ausdruck erreicht ſein „Original oft nur, wo es ſich dem Uebertriebe- „nen naͤhert.„ Jch habe viel geſagt; den Be- weis uͤberlaſſe ich einem jeden, der Morgen- laͤndiſche Gedichte zu leſen weiß.
7.
Elend nachahmen ſollen wir alſo gar nicht, und ein Hudemann iſt in ſeinem Lucifer und in ſeinem Tode Abels der Bemerkung und der Aergerniß unwuͤrdig — aber wie koͤnnen wir uns von ſolchen Hudemanns befreien? Wenn wir uns aufmuntern, die Morgenlaͤndiſchen Gedichte, als Gedichte zu ſtudiren, erklaͤren zu lernen und bekannt zu machen. Unmoͤglich koͤnnen wir ſie uͤberſez- zen, und nachahmen, ehe wir ſie verſtehen, und die Morgenlaͤndiſche Philologie, die in unſerm Deutſchlande ſeit einiger Zeit bluͤhet, wird, wenn ſie ſich mit Geſchmack vereinigt, ſchlechte und dumme Nachahmer zerſtreuen.
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„nen naͤhert.„ Jch habe viel geſagt; den Be-
weis uͤberlaſſe ich einem jeden, der Morgen-
laͤndiſche Gedichte zu leſen weiß.
7.
Elend nachahmen ſollen wir alſo gar nicht,
und ein Hudemann iſt in ſeinem Lucifer
und in ſeinem Tode Abels der Bemerkung
und der Aergerniß unwuͤrdig — aber wie
koͤnnen wir uns von ſolchen Hudemanns
befreien? Wenn wir uns aufmuntern, die
Morgenlaͤndiſchen Gedichte, als Gedichte zu
ſtudiren, erklaͤren zu lernen und bekannt zu
machen. Unmoͤglich koͤnnen wir ſie uͤberſez-
zen, und nachahmen, ehe wir ſie verſtehen,
und die Morgenlaͤndiſche Philologie, die in
unſerm Deutſchlande ſeit einiger Zeit bluͤhet,
wird, wenn ſie ſich mit Geſchmack vereinigt,
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/68>, abgerufen am 16.07.2024.
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