hierüber; man konnte es merken, daß sie über jedes Feld der Deutschen Litteratur ihre Aussichten ausbreiten wollten; und da schon das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge- trieben war: da Schweizer und Gottschedia- ner einander möglichst widerstanden, und gleichsam durch ihre gegenseitige Kräfte, die in einander wirkten, eine gewisse ruhige Denkart hervorbringen musten: so foderte es die Zeit, daß Kunstrichter, die beider Par- theien Ausschweifung sahen, eine mittlere Schwäche inne werden musten: und auf diesen Zeitpunkt trafen die Briefe.
Bloßer Tadel macht kleinmüthig; bestän- dige Klagen endlich verdrossen, und ewige Vorschriften matt und gezwungen: kommt es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer gründlich, die Klagen wiederholt, und die Vorschriften zu einschränkend sind: so sieht man den Schulmeister, der nach der bekannten Fabel, dem Kinde im Wasser eine Strafpre- digt hält, den Philosophen dem Hungrigen vor- predigen: sey nicht hungrig! und den Arzt dem Kranken zurufen: sey gesund!
Um
O 3
hieruͤber; man konnte es merken, daß ſie uͤber jedes Feld der Deutſchen Litteratur ihre Ausſichten ausbreiten wollten; und da ſchon das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge- trieben war: da Schweizer und Gottſchedia- ner einander moͤglichſt widerſtanden, und gleichſam durch ihre gegenſeitige Kraͤfte, die in einander wirkten, eine gewiſſe ruhige Denkart hervorbringen muſten: ſo foderte es die Zeit, daß Kunſtrichter, die beider Par- theien Ausſchweifung ſahen, eine mittlere Schwaͤche inne werden muſten: und auf dieſen Zeitpunkt trafen die Briefe.
Bloßer Tadel macht kleinmuͤthig; beſtaͤn- dige Klagen endlich verdroſſen, und ewige Vorſchriften matt und gezwungen: kommt es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer gruͤndlich, die Klagen wiederholt, und die Vorſchriften zu einſchraͤnkend ſind: ſo ſieht man den Schulmeiſter, der nach der bekannten Fabel, dem Kinde im Waſſer eine Strafpre- digt haͤlt, den Philoſophen dem Hungrigen vor- predigen: ſey nicht hungrig! und den Arzt dem Kranken zurufen: ſey geſund!
Um
O 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0033"n="201"/>
hieruͤber; man konnte es merken, daß ſie<lb/>
uͤber jedes Feld der Deutſchen Litteratur ihre<lb/>
Ausſichten ausbreiten wollten; und da ſchon<lb/>
das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge-<lb/>
trieben war: da Schweizer und Gottſchedia-<lb/>
ner einander moͤglichſt widerſtanden, und<lb/>
gleichſam durch ihre gegenſeitige Kraͤfte, die<lb/>
in einander wirkten, eine gewiſſe <hirendition="#fr">ruhige</hi><lb/>
Denkart hervorbringen muſten: ſo foderte<lb/>
es die <hirendition="#fr">Zeit,</hi> daß Kunſtrichter, die beider Par-<lb/>
theien Ausſchweifung ſahen, <hirendition="#fr">eine mittlere<lb/>
Schwaͤche</hi> inne werden muſten: und auf<lb/>
dieſen Zeitpunkt trafen die Briefe.</p><lb/><p>Bloßer Tadel macht kleinmuͤthig; beſtaͤn-<lb/>
dige Klagen endlich verdroſſen, und ewige<lb/>
Vorſchriften matt und gezwungen: kommt<lb/>
es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer<lb/>
gruͤndlich, die Klagen wiederholt, und die<lb/>
Vorſchriften zu einſchraͤnkend ſind: ſo ſieht<lb/>
man den Schulmeiſter, der nach der bekannten<lb/>
Fabel, dem Kinde im Waſſer eine Strafpre-<lb/>
digt haͤlt, den Philoſophen dem Hungrigen vor-<lb/>
predigen: ſey nicht hungrig! und den Arzt<lb/>
dem Kranken zurufen: ſey geſund!</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Um</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[201/0033]
hieruͤber; man konnte es merken, daß ſie
uͤber jedes Feld der Deutſchen Litteratur ihre
Ausſichten ausbreiten wollten; und da ſchon
das Cirkelrad von Fehlern beinahe herumge-
trieben war: da Schweizer und Gottſchedia-
ner einander moͤglichſt widerſtanden, und
gleichſam durch ihre gegenſeitige Kraͤfte, die
in einander wirkten, eine gewiſſe ruhige
Denkart hervorbringen muſten: ſo foderte
es die Zeit, daß Kunſtrichter, die beider Par-
theien Ausſchweifung ſahen, eine mittlere
Schwaͤche inne werden muſten: und auf
dieſen Zeitpunkt trafen die Briefe.
Bloßer Tadel macht kleinmuͤthig; beſtaͤn-
dige Klagen endlich verdroſſen, und ewige
Vorſchriften matt und gezwungen: kommt
es nun noch dazu, daß der Tadel nicht immer
gruͤndlich, die Klagen wiederholt, und die
Vorſchriften zu einſchraͤnkend ſind: ſo ſieht
man den Schulmeiſter, der nach der bekannten
Fabel, dem Kinde im Waſſer eine Strafpre-
digt haͤlt, den Philoſophen dem Hungrigen vor-
predigen: ſey nicht hungrig! und den Arzt
dem Kranken zurufen: ſey geſund!
Um
O 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/33>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.