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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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zu handeln, beschäftigen sie sich, singen und
küssen, trinken und pflanzen Gärten.
Worinn ist Geßner glücklicher, als in die-
sen Küchen- und Landschaftsstücken, wo
er die Natur oft als eine Nymphe an ihrem
Nachtschleyer unvermuthet erhascht. Geß-
ner
ist hierinn noch vortreflich, und mischt
diese Schilderungen nur ein; aber wenn
seine Nachfolger mittelmäßige Schilderun-
gen
zum Hauptwerk, * zu ihrem ganzen Ge-
schäfte machen; so weicht dies ja ganz von
den Alten ab. Sie malen das, worinn ih-
nen der Maler es zuvor thun kann, nur selten,
nur als ein Nebenwerk, nur kurz: wenn aber
Breitenbauchs Jüdische Schäfergedichte
nichts als malen: so -- können sie blos
durch die Kunst des Malers schäzzbar werden,
und schlägt die fehl -- so ist alles verloren.

Die Mannichfaltigkeit leidet bei diesem
Jdeal noch mehr. Nicht von innen aus der
Seele, sondern meistens nach Umständen wird
sie bestimmt. Geßners Jdyllen sind oft al-

ler-
* s. Jüd. Schäferged.

zu handeln, beſchaͤftigen ſie ſich, ſingen und
kuͤſſen, trinken und pflanzen Gaͤrten.
Worinn iſt Geßner gluͤcklicher, als in die-
ſen Kuͤchen- und Landſchaftsſtuͤcken, wo
er die Natur oft als eine Nymphe an ihrem
Nachtſchleyer unvermuthet erhaſcht. Geß-
ner
iſt hierinn noch vortreflich, und miſcht
dieſe Schilderungen nur ein; aber wenn
ſeine Nachfolger mittelmaͤßige Schilderun-
gen
zum Hauptwerk, * zu ihrem ganzen Ge-
ſchaͤfte machen; ſo weicht dies ja ganz von
den Alten ab. Sie malen das, worinn ih-
nen der Maler es zuvor thun kann, nur ſelten,
nur als ein Nebenwerk, nur kurz: wenn aber
Breitenbauchs Juͤdiſche Schaͤfergedichte
nichts als malen: ſo — koͤnnen ſie blos
durch die Kunſt des Malers ſchaͤzzbar werden,
und ſchlaͤgt die fehl — ſo iſt alles verloren.

Die Mannichfaltigkeit leidet bei dieſem
Jdeal noch mehr. Nicht von innen aus der
Seele, ſondern meiſtens nach Umſtaͤnden wird
ſie beſtimmt. Geßners Jdyllen ſind oft al-

ler-
* ſ. Juͤd. Schaͤferged.
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[364/0196] zu handeln, beſchaͤftigen ſie ſich, ſingen und kuͤſſen, trinken und pflanzen Gaͤrten. Worinn iſt Geßner gluͤcklicher, als in die- ſen Kuͤchen- und Landſchaftsſtuͤcken, wo er die Natur oft als eine Nymphe an ihrem Nachtſchleyer unvermuthet erhaſcht. Geß- ner iſt hierinn noch vortreflich, und miſcht dieſe Schilderungen nur ein; aber wenn ſeine Nachfolger mittelmaͤßige Schilderun- gen zum Hauptwerk, * zu ihrem ganzen Ge- ſchaͤfte machen; ſo weicht dies ja ganz von den Alten ab. Sie malen das, worinn ih- nen der Maler es zuvor thun kann, nur ſelten, nur als ein Nebenwerk, nur kurz: wenn aber Breitenbauchs Juͤdiſche Schaͤfergedichte nichts als malen: ſo — koͤnnen ſie blos durch die Kunſt des Malers ſchaͤzzbar werden, und ſchlaͤgt die fehl — ſo iſt alles verloren. Die Mannichfaltigkeit leidet bei dieſem Jdeal noch mehr. Nicht von innen aus der Seele, ſondern meiſtens nach Umſtaͤnden wird ſie beſtimmt. Geßners Jdyllen ſind oft al- ler- * ſ. Juͤd. Schaͤferged.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/196>, abgerufen am 22.11.2024.