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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Politisch, diesen kleinen Gesellschaften so fern
angemessen, damit sie reizen und illudiren.
Das ganze goldene Weltalter, in welches die
Schweizer die alten Schäfer sezzen, ist also ei-
ne schöne Grille: Die Griechischen Jdyllen-
dichter wissen von einer vollkommen goldnen
Zeit nur im seligen Elysium der Götter, und
in der Jugend der Welt, wo die Helden leb-
ten: da schöpften die Corybanten aus Milch-
strömen ihre Begeisterung; aber Theokrits
Schäfer schöpfen klares Wasser: ja auch da
nicht einmal waren die Helden den seligen
Göttern gleich: und Theokrits Schäfer sollten
es seyn? Jst Alcimadure, ist Battus, ist
Polyphem, ist der arme Fischer, denn in
dem glücklichen, reizenden Alter, wie man das
goldne mahlt? Aber was gewinnt Theokrit
dabei? Er kann wirkliche Sitten schildern.
Da er sein Gemälde aus dem Leben porträ-
tirte, und bis auf einen gewissen Grad erbö-
hete; so konnte er auch Leben in dasselbe
bringen.

Aber Geßner und die Neuern? Wir, die
von diesem Zeitalter der Natur so weit ent-

fernt

Politiſch, dieſen kleinen Geſellſchaften ſo fern
angemeſſen, damit ſie reizen und illudiren.
Das ganze goldene Weltalter, in welches die
Schweizer die alten Schaͤfer ſezzen, iſt alſo ei-
ne ſchoͤne Grille: Die Griechiſchen Jdyllen-
dichter wiſſen von einer vollkommen goldnen
Zeit nur im ſeligen Elyſium der Goͤtter, und
in der Jugend der Welt, wo die Helden leb-
ten: da ſchoͤpften die Corybanten aus Milch-
ſtroͤmen ihre Begeiſterung; aber Theokrits
Schaͤfer ſchoͤpfen klares Waſſer: ja auch da
nicht einmal waren die Helden den ſeligen
Goͤttern gleich: und Theokrits Schaͤfer ſollten
es ſeyn? Jſt Alcimadure, iſt Battus, iſt
Polyphem, iſt der arme Fiſcher, denn in
dem gluͤcklichen, reizenden Alter, wie man das
goldne mahlt? Aber was gewinnt Theokrit
dabei? Er kann wirkliche Sitten ſchildern.
Da er ſein Gemaͤlde aus dem Leben portraͤ-
tirte, und bis auf einen gewiſſen Grad erboͤ-
hete; ſo konnte er auch Leben in daſſelbe
bringen.

Aber Geßner und die Neuern? Wir, die
von dieſem Zeitalter der Natur ſo weit ent-

fernt
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[362/0194] Politiſch, dieſen kleinen Geſellſchaften ſo fern angemeſſen, damit ſie reizen und illudiren. Das ganze goldene Weltalter, in welches die Schweizer die alten Schaͤfer ſezzen, iſt alſo ei- ne ſchoͤne Grille: Die Griechiſchen Jdyllen- dichter wiſſen von einer vollkommen goldnen Zeit nur im ſeligen Elyſium der Goͤtter, und in der Jugend der Welt, wo die Helden leb- ten: da ſchoͤpften die Corybanten aus Milch- ſtroͤmen ihre Begeiſterung; aber Theokrits Schaͤfer ſchoͤpfen klares Waſſer: ja auch da nicht einmal waren die Helden den ſeligen Goͤttern gleich: und Theokrits Schaͤfer ſollten es ſeyn? Jſt Alcimadure, iſt Battus, iſt Polyphem, iſt der arme Fiſcher, denn in dem gluͤcklichen, reizenden Alter, wie man das goldne mahlt? Aber was gewinnt Theokrit dabei? Er kann wirkliche Sitten ſchildern. Da er ſein Gemaͤlde aus dem Leben portraͤ- tirte, und bis auf einen gewiſſen Grad erboͤ- hete; ſo konnte er auch Leben in daſſelbe bringen. Aber Geßner und die Neuern? Wir, die von dieſem Zeitalter der Natur ſo weit ent- fernt

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/194>, abgerufen am 25.11.2024.