nahe zu treten, ist hierinn weit blöder. So wie uns unser Wohlstand zu einer Schwäche gebildet, die nur für uns schön läßt, so schmeck- te vieles dem Geschmack der Griechen, was uns zu stark ist. Seine Schäferleidenschaft bleibt immer mehr schleichende Neigung: die weiche, zärtliche Liebe, zu drücken, zu herzen, zu küssen; dies ist die Farbe, die man über- all sieht. Amyntas, ein Schäfer, der sich des Baums erbarmte, läßt uns, wie Ram- ler* sagt, schließen "was wird nicht ein "größerer Vorfall bei ihm würken?" so schliessen, glaube ich, kann wan im Geßner oft; aber es sehen? -- selten!
Theokrit schildert kleinere menschliche Ge- sellschaften, nicht "wie sie der Weltweise in "der Oekonomik Moralisch betrachtet **" sondern wie er sie als Dichter von seiner Zeit abstrahiren konnte, um finnlich zu reizen und zu überreden. Seine Sittlichkeit ist also auch nichts minder als Moralisch, sondern
Poli-
* s. seinen Batteux.
** s. Litter. Br. im angef. Theil.
A a 3
nahe zu treten, iſt hierinn weit bloͤder. So wie uns unſer Wohlſtand zu einer Schwaͤche gebildet, die nur fuͤr uns ſchoͤn laͤßt, ſo ſchmeck- te vieles dem Geſchmack der Griechen, was uns zu ſtark iſt. Seine Schaͤferleidenſchaft bleibt immer mehr ſchleichende Neigung: die weiche, zaͤrtliche Liebe, zu druͤcken, zu herzen, zu kuͤſſen; dies iſt die Farbe, die man uͤber- all ſieht. Amyntas, ein Schaͤfer, der ſich des Baums erbarmte, laͤßt uns, wie Ram- ler* ſagt, ſchließen „was wird nicht ein „groͤßerer Vorfall bei ihm wuͤrken?„ ſo ſchlieſſen, glaube ich, kann wan im Geßner oft; aber es ſehen? — ſelten!
Theokrit ſchildert kleinere menſchliche Ge- ſellſchaften, nicht „wie ſie der Weltweiſe in „der Oekonomik Moraliſch betrachtet **„ ſondern wie er ſie als Dichter von ſeiner Zeit abſtrahiren konnte, um finnlich zu reizen und zu uͤberreden. Seine Sittlichkeit iſt alſo auch nichts minder als Moraliſch, ſondern
Poli-
* ſ. ſeinen Batteux.
** ſ. Litter. Br. im angef. Theil.
A a 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0193"n="361"/>
nahe zu treten, iſt hierinn weit bloͤder. So<lb/>
wie uns unſer <hirendition="#fr">Wohlſtand</hi> zu einer Schwaͤche<lb/>
gebildet, die nur fuͤr uns <hirendition="#fr">ſchoͤn</hi> laͤßt, ſo ſchmeck-<lb/>
te vieles dem Geſchmack der Griechen, was<lb/>
uns zu <hirendition="#fr">ſtark</hi> iſt. Seine Schaͤferleidenſchaft<lb/>
bleibt immer mehr ſchleichende Neigung: die<lb/>
weiche, zaͤrtliche Liebe, zu druͤcken, zu herzen,<lb/>
zu kuͤſſen; dies iſt die Farbe, die man uͤber-<lb/>
all ſieht. <hirendition="#fr">Amyntas,</hi> ein Schaͤfer, der ſich<lb/>
des Baums erbarmte, laͤßt uns, wie <hirendition="#fr">Ram-<lb/>
ler</hi><noteplace="foot"n="*">ſ. ſeinen <hirendition="#fr">Batteux.</hi></note>ſagt, <hirendition="#fr">ſchließen</hi>„was wird nicht ein<lb/>„groͤßerer Vorfall bei ihm wuͤrken?„ſo<lb/><hirendition="#fr">ſchlieſſen,</hi> glaube ich, kann wan im Geßner<lb/><hirendition="#fr">oft;</hi> aber es <hirendition="#fr">ſehen?</hi>—ſelten!</p><lb/><p><hirendition="#fr">Theokrit</hi>ſchildert kleinere menſchliche Ge-<lb/>ſellſchaften, nicht „wie ſie der Weltweiſe in<lb/>„der Oekonomik <hirendition="#fr">Moraliſch</hi> betrachtet <noteplace="foot"n="**">ſ. Litter. Br. im angef. Theil.</note>„<lb/>ſondern wie er ſie als Dichter von ſeiner Zeit<lb/>
abſtrahiren konnte, um finnlich zu reizen und<lb/>
zu uͤberreden. Seine Sittlichkeit iſt alſo<lb/>
auch nichts minder als <hirendition="#fr">Moraliſch,</hi>ſondern<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a 3</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Poli-</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[361/0193]
nahe zu treten, iſt hierinn weit bloͤder. So
wie uns unſer Wohlſtand zu einer Schwaͤche
gebildet, die nur fuͤr uns ſchoͤn laͤßt, ſo ſchmeck-
te vieles dem Geſchmack der Griechen, was
uns zu ſtark iſt. Seine Schaͤferleidenſchaft
bleibt immer mehr ſchleichende Neigung: die
weiche, zaͤrtliche Liebe, zu druͤcken, zu herzen,
zu kuͤſſen; dies iſt die Farbe, die man uͤber-
all ſieht. Amyntas, ein Schaͤfer, der ſich
des Baums erbarmte, laͤßt uns, wie Ram-
ler * ſagt, ſchließen „was wird nicht ein
„groͤßerer Vorfall bei ihm wuͤrken?„ ſo
ſchlieſſen, glaube ich, kann wan im Geßner
oft; aber es ſehen? — ſelten!
Theokrit ſchildert kleinere menſchliche Ge-
ſellſchaften, nicht „wie ſie der Weltweiſe in
„der Oekonomik Moraliſch betrachtet **„
ſondern wie er ſie als Dichter von ſeiner Zeit
abſtrahiren konnte, um finnlich zu reizen und
zu uͤberreden. Seine Sittlichkeit iſt alſo
auch nichts minder als Moraliſch, ſondern
Poli-
* ſ. ſeinen Batteux.
** ſ. Litter. Br. im angef. Theil.
A a 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/193>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.