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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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und nach ihren kleinen Gesellschaften, nach
ihrem Zustande, nicht aber Moralisch un-
schuldig: Daphnis
und sein Mädchen
fällt jedem hiebei zuerst ein: ist die Liebe der
Zauberin zu ihrem Geliebten wohl höchst ver-
schönert? Platonisch vollkommen denkt, em-
pfindet und liebt kein Schäfer in ihm. Er
überläßt sie ihrer Natur, die nach ihrem Zeit-
alter und nach ihrer Gesellschaft unschuldig
ist. Seine Schäferhelden sind nicht jenem
Philosophischen Helden gleich,

Qui metus omnes et inexorabile fatum
Subiecit pedibus -- --

alsdenn wären sie unerträglich. Seine Liebe
wird stürmisch, wird Raserei bis zum Tode:
selbst seine Grazien sind nichts weniger als
höchst verschönerte Jdeale. Aus jeder
Jdylle muß ich Proben hiervon anführen kön-
nen, weil ich dies eben für das Charakter.
stück derselben halte.

Der Kunstrichter verwirret sich selbst in
seinem eigenen Gewebe, wenn er auf die nie-
drigen Züge
stößt, die die Franzosen im

Theo-
A a

und nach ihren kleinen Geſellſchaften, nach
ihrem Zuſtande, nicht aber Moraliſch un-
ſchuldig: Daphnis
und ſein Maͤdchen
faͤllt jedem hiebei zuerſt ein: iſt die Liebe der
Zauberin zu ihrem Geliebten wohl hoͤchſt ver-
ſchoͤnert? Platoniſch vollkommen denkt, em-
pfindet und liebt kein Schaͤfer in ihm. Er
uͤberlaͤßt ſie ihrer Natur, die nach ihrem Zeit-
alter und nach ihrer Geſellſchaft unſchuldig
iſt. Seine Schaͤferhelden ſind nicht jenem
Philoſophiſchen Helden gleich,

Qui metus omnes et inexorabile fatum
Subiecit pedibus — —

alsdenn waͤren ſie unertraͤglich. Seine Liebe
wird ſtuͤrmiſch, wird Raſerei bis zum Tode:
ſelbſt ſeine Grazien ſind nichts weniger als
hoͤchſt verſchoͤnerte Jdeale. Aus jeder
Jdylle muß ich Proben hiervon anfuͤhren koͤn-
nen, weil ich dies eben fuͤr das Charakter.
ſtuͤck derſelben halte.

Der Kunſtrichter verwirret ſich ſelbſt in
ſeinem eigenen Gewebe, wenn er auf die nie-
drigen Zuͤge
ſtoͤßt, die die Franzoſen im

Theo-
A a
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[357/0189] und nach ihren kleinen Geſellſchaften, nach ihrem Zuſtande, nicht aber Moraliſch un- ſchuldig: Daphnis und ſein Maͤdchen faͤllt jedem hiebei zuerſt ein: iſt die Liebe der Zauberin zu ihrem Geliebten wohl hoͤchſt ver- ſchoͤnert? Platoniſch vollkommen denkt, em- pfindet und liebt kein Schaͤfer in ihm. Er uͤberlaͤßt ſie ihrer Natur, die nach ihrem Zeit- alter und nach ihrer Geſellſchaft unſchuldig iſt. Seine Schaͤferhelden ſind nicht jenem Philoſophiſchen Helden gleich, Qui metus omnes et inexorabile fatum Subiecit pedibus — — alsdenn waͤren ſie unertraͤglich. Seine Liebe wird ſtuͤrmiſch, wird Raſerei bis zum Tode: ſelbſt ſeine Grazien ſind nichts weniger als hoͤchſt verſchoͤnerte Jdeale. Aus jeder Jdylle muß ich Proben hiervon anfuͤhren koͤn- nen, weil ich dies eben fuͤr das Charakter. ſtuͤck derſelben halte. Der Kunſtrichter verwirret ſich ſelbſt in ſeinem eigenen Gewebe, wenn er auf die nie- drigen Zuͤge ſtoͤßt, die die Franzoſen im Theo- A a

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/189>, abgerufen am 28.11.2024.