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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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nen; dem Leser zehnerlei Vergnügen. Kurz!
aus eben den Ursachen, warum derselbe Kunst-
richter von der Bühne und aus der Epopee *
das Jdeal der Vollkommenheit verbannen will,
verbanne ichs aus Arkadien; es schafft Un-
fruchtbarkeit, Einförmigkeit,
und schränkt
die Erfindung
ein.

Jch will aber keine Abhandlung über das
Schäfergedicht schreiben: sondern nur den
Charakter der Theokritschen und Geßner-
schen
Jdyllen bestimmen, und eben dies hat
mich so weit geführt. Der Kunstrichter sagt,
"Empfindung und Leidenschaften nach
"dem Jdeal: das ist die wahre Jdylle
"Theokrits, Virgils und Geßners."
Wie? dachte ich, alle drei nach einem Jdeal?
alle drei höchst verschönert? Der Kunstrichter
raubt mir mit seiner Eintheilung allen Un-
terschied,
den ich so oft zwischen allen dreien
empfunden, und Empfindung läßt sich nicht
sogleich rauben.

Die Leidenschaften, die Theokrit seinen
Schäfern gibt, sind durchaus menschlich,

und
* Litter. Br. Th. 7. und 9.

nen; dem Leſer zehnerlei Vergnuͤgen. Kurz!
aus eben den Urſachen, warum derſelbe Kunſt-
richter von der Buͤhne und aus der Epopee *
das Jdeal der Vollkommenheit verbannen will,
verbanne ichs aus Arkadien; es ſchafft Un-
fruchtbarkeit, Einfoͤrmigkeit,
und ſchraͤnkt
die Erfindung
ein.

Jch will aber keine Abhandlung uͤber das
Schaͤfergedicht ſchreiben: ſondern nur den
Charakter der Theokritſchen und Geßner-
ſchen
Jdyllen beſtimmen, und eben dies hat
mich ſo weit gefuͤhrt. Der Kunſtrichter ſagt,
Empfindung und Leidenſchaften nach
„dem Jdeal: das iſt die wahre Jdylle
Theokrits, Virgils und Geßners.
Wie? dachte ich, alle drei nach einem Jdeal?
alle drei hoͤchſt verſchoͤnert? Der Kunſtrichter
raubt mir mit ſeiner Eintheilung allen Un-
terſchied,
den ich ſo oft zwiſchen allen dreien
empfunden, und Empfindung laͤßt ſich nicht
ſogleich rauben.

Die Leidenſchaften, die Theokrit ſeinen
Schaͤfern gibt, ſind durchaus menſchlich,

und
* Litter. Br. Th. 7. und 9.
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[356/0188] nen; dem Leſer zehnerlei Vergnuͤgen. Kurz! aus eben den Urſachen, warum derſelbe Kunſt- richter von der Buͤhne und aus der Epopee * das Jdeal der Vollkommenheit verbannen will, verbanne ichs aus Arkadien; es ſchafft Un- fruchtbarkeit, Einfoͤrmigkeit, und ſchraͤnkt die Erfindung ein. Jch will aber keine Abhandlung uͤber das Schaͤfergedicht ſchreiben: ſondern nur den Charakter der Theokritſchen und Geßner- ſchen Jdyllen beſtimmen, und eben dies hat mich ſo weit gefuͤhrt. Der Kunſtrichter ſagt, „Empfindung und Leidenſchaften nach „dem Jdeal: das iſt die wahre Jdylle „Theokrits, Virgils und Geßners.„ Wie? dachte ich, alle drei nach einem Jdeal? alle drei hoͤchſt verſchoͤnert? Der Kunſtrichter raubt mir mit ſeiner Eintheilung allen Un- terſchied, den ich ſo oft zwiſchen allen dreien empfunden, und Empfindung laͤßt ſich nicht ſogleich rauben. Die Leidenſchaften, die Theokrit ſeinen Schaͤfern gibt, ſind durchaus menſchlich, und * Litter. Br. Th. 7. und 9.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/188>, abgerufen am 24.11.2024.