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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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und schlechte Porträte sind eher, als Jdeale,
als hochst verschonerte Jdeale; so müssen auch
die erste Landgedichte gewesen seyn. Könnte
dies nicht eine Ursache seyn, (wenn gegen den
Eigensinn der Zeit noch muthmaßliche Ursa-
chen gelten,) warum vor Theokrit alle Land-
dichter verloren gegangen sind, warum selbst
die meisten Gedichte seines Lehrers, Bions,
verloren gegangen sind: weil sie vielleicht die
Natur noch zu gemein porträtirt haben? Nur
Theokrit, ein später Dichter, wurde der er-
ste Anfänger einer goldnen Epoche, weil er
eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er-
reichte, daß seine verschönerte Natur auch fei-
nen Zeitaltern gefallen konnte.

Aber welche Natur hat er verschonert?
Beschäftigungen? Oder Empfindungen
und Leidenschaften? Der Anfang der Dicht-
kunst ist wahrscheinlich eher von Leidenschaf-
ten, als bloßen Beschäftigungen gewesen;
diese waren theils nicht werth, theils nicht hin-
reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin-
gen. Dies bestätigen die ältesten Beispiele,
und die Känntniß der ersten Zeiten noch mehr.

Erst

und ſchlechte Portraͤte ſind eher, als Jdeale,
als ho̊chſt verſcho̊nerte Jdeale; ſo muͤſſen auch
die erſte Landgedichte geweſen ſeyn. Koͤnnte
dies nicht eine Urſache ſeyn, (wenn gegen den
Eigenſinn der Zeit noch muthmaßliche Urſa-
chen gelten,) warum vor Theokrit alle Land-
dichter verloren gegangen ſind, warum ſelbſt
die meiſten Gedichte ſeines Lehrers, Bions,
verloren gegangen ſind: weil ſie vielleicht die
Natur noch zu gemein portraͤtirt haben? Nur
Theokrit, ein ſpaͤter Dichter, wurde der er-
ſte Anfaͤnger einer goldnen Epoche, weil er
eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er-
reichte, daß ſeine verſchoͤnerte Natur auch fei-
nen Zeitaltern gefallen konnte.

Aber welche Natur hat er verſcho̊nert?
Beſchaͤftigungen? Oder Empfindungen
und Leidenſchaften? Der Anfang der Dicht-
kunſt iſt wahrſcheinlich eher von Leidenſchaf-
ten, als bloßen Beſchaͤftigungen geweſen;
dieſe waren theils nicht werth, theils nicht hin-
reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin-
gen. Dies beſtaͤtigen die aͤlteſten Beiſpiele,
und die Kaͤnntniß der erſten Zeiten noch mehr.

Erſt
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[353/0185] und ſchlechte Portraͤte ſind eher, als Jdeale, als ho̊chſt verſcho̊nerte Jdeale; ſo muͤſſen auch die erſte Landgedichte geweſen ſeyn. Koͤnnte dies nicht eine Urſache ſeyn, (wenn gegen den Eigenſinn der Zeit noch muthmaßliche Urſa- chen gelten,) warum vor Theokrit alle Land- dichter verloren gegangen ſind, warum ſelbſt die meiſten Gedichte ſeines Lehrers, Bions, verloren gegangen ſind: weil ſie vielleicht die Natur noch zu gemein portraͤtirt haben? Nur Theokrit, ein ſpaͤter Dichter, wurde der er- ſte Anfaͤnger einer goldnen Epoche, weil er eben den Zeitpunkt in den Landgedichten er- reichte, daß ſeine verſchoͤnerte Natur auch fei- nen Zeitaltern gefallen konnte. Aber welche Natur hat er verſcho̊nert? Beſchaͤftigungen? Oder Empfindungen und Leidenſchaften? Der Anfang der Dicht- kunſt iſt wahrſcheinlich eher von Leidenſchaf- ten, als bloßen Beſchaͤftigungen geweſen; dieſe waren theils nicht werth, theils nicht hin- reichend gnug, um Dichterei hervorzubrin- gen. Dies beſtaͤtigen die aͤlteſten Beiſpiele, und die Kaͤnntniß der erſten Zeiten noch mehr. Erſt

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/185>, abgerufen am 22.11.2024.