wenig, daß man auch selbst schon zu den Neuigkeiten Fremde braucht.
Jndessen denke ich mir ein Journal, das mehr als Briefe, Auszüge und Urtheile zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk, das sich den Plan vorzeichnete zu einem ganzen und vollendeten Gemälde über die Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung auf das Ganze wäre, er mag sich im Schatten verbergen, oder aus Licht her- vortreten: zu einem Gemälde, das die Natur des Titian, mit der Grazie des Correggio und der bedeutungsvollen Jdea des Raphaels zu verbinden suchte: kurz! ein Werk, das eine pragmatische Geschichte im gelehrten Staat würde, so wie die Annales des Tacitus im politischen Staat diesen hohen Namen verdienen.
Man lasse mich meinen Traum verfol- gen! Diesem allgemeinen und einzigen Werke müste eine Geschichte der Littera- tur zum Grunde liegen, auf die es sich stüzzte. Auf welcher Stuffe befindet sich diese Nation? und zu welcher könnte und sollte sie kommen? Was sind ihre Talente,
und
A 3
wenig, daß man auch ſelbſt ſchon zu den Neuigkeiten Fremde braucht.
Jndeſſen denke ich mir ein Journal, das mehr als Briefe, Auszuͤge und Urtheile zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk, das ſich den Plan vorzeichnete zu einem ganzen und vollendeten Gemaͤlde uͤber die Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung auf das Ganze waͤre, er mag ſich im Schatten verbergen, oder aus Licht her- vortreten: zu einem Gemaͤlde, das die Natur des Titian, mit der Grazie des Correggio und der bedeutungsvollen Jdea des Raphaels zu verbinden ſuchte: kurz! ein Werk, das eine pragmatiſche Geſchichte im gelehrten Staat wuͤrde, ſo wie die Annales des Tacitus im politiſchen Staat dieſen hohen Namen verdienen.
Man laſſe mich meinen Traum verfol- gen! Dieſem allgemeinen und einzigen Werke muͤſte eine Geſchichte der Littera- tur zum Grunde liegen, auf die es ſich ſtuͤzzte. Auf welcher Stuffe befindet ſich dieſe Nation? und zu welcher koͤnnte und ſollte ſie kommen? Was ſind ihre Talente,
und
A 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0009"n="5"/>
wenig, daß man auch ſelbſt ſchon zu den<lb/>
Neuigkeiten Fremde braucht.</p><lb/><p>Jndeſſen denke ich mir ein Journal,<lb/>
das mehr als Briefe, Auszuͤge und Urtheile<lb/>
zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk,<lb/>
das ſich den Plan vorzeichnete zu einem<lb/>
ganzen und vollendeten Gemaͤlde uͤber die<lb/>
Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung<lb/>
auf das Ganze waͤre, er mag ſich im<lb/>
Schatten verbergen, oder aus Licht her-<lb/>
vortreten: zu einem Gemaͤlde, das die<lb/>
Natur des <hirendition="#fr">Titian,</hi> mit der Grazie des<lb/>
Correggio und der bedeutungsvollen Jdea<lb/>
des Raphaels zu verbinden ſuchte: kurz!<lb/>
ein Werk, das eine pragmatiſche Geſchichte<lb/>
im gelehrten Staat wuͤrde, ſo wie die<lb/><hirendition="#aq">Annales</hi> des Tacitus im politiſchen Staat<lb/>
dieſen hohen Namen verdienen.</p><lb/><p>Man laſſe mich meinen Traum verfol-<lb/>
gen! Dieſem allgemeinen und einzigen<lb/>
Werke muͤſte eine <hirendition="#fr">Geſchichte der Littera-<lb/>
tur</hi> zum Grunde liegen, auf die es ſich<lb/>ſtuͤzzte. Auf welcher Stuffe befindet ſich<lb/>
dieſe Nation? und zu welcher koͤnnte und<lb/>ſollte ſie kommen? Was ſind ihre Talente,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[5/0009]
wenig, daß man auch ſelbſt ſchon zu den
Neuigkeiten Fremde braucht.
Jndeſſen denke ich mir ein Journal,
das mehr als Briefe, Auszuͤge und Urtheile
zum Zeitvertreibe enthielte: ein Werk,
das ſich den Plan vorzeichnete zu einem
ganzen und vollendeten Gemaͤlde uͤber die
Litteratur, wo kein Zug ohne Bedeutung
auf das Ganze waͤre, er mag ſich im
Schatten verbergen, oder aus Licht her-
vortreten: zu einem Gemaͤlde, das die
Natur des Titian, mit der Grazie des
Correggio und der bedeutungsvollen Jdea
des Raphaels zu verbinden ſuchte: kurz!
ein Werk, das eine pragmatiſche Geſchichte
im gelehrten Staat wuͤrde, ſo wie die
Annales des Tacitus im politiſchen Staat
dieſen hohen Namen verdienen.
Man laſſe mich meinen Traum verfol-
gen! Dieſem allgemeinen und einzigen
Werke muͤſte eine Geſchichte der Littera-
tur zum Grunde liegen, auf die es ſich
ſtuͤzzte. Auf welcher Stuffe befindet ſich
dieſe Nation? und zu welcher koͤnnte und
ſollte ſie kommen? Was ſind ihre Talente,
und
A 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/9>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.