ward: so auch in der Sprache: man bilde- te eine Sprache nach der andern, mit der sie umgieng. Es entstand ein Adel, ein Pöbel und ein Mittelstand unter den Wörtern, wie er in der Gesellschaft entstand: die Beiwörter wurden in der Prose Gleichnisse, die Gleich- nisse Exempel: statt der Sprache der Leiden- schaft ward sie eine Sprache des mittlern Wiz- zes: und endlich des Verstandes. So ist Poesie und Prose in ihrem Ursprunge unterschieden.
Noch zehn Autoren hätte ich anzuführen, die diese ganz natürliche Metempsychosis der Sprachen, überall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zurück zu gehen wissen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehöret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich selbst weiß, diese ganze Wahrheit in ihrem völligen Lichte zei- gen, mit aller Aehnlichkeit zusammenhalten und gegen die Einwürfe retten, die man uns unsrer Zeit macht. -- Jch rede also von den Zeitaltern der Deutschen Sprache, und verspa- re das übrige auf eine andere Gelegenheit.
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ward: ſo auch in der Sprache: man bilde- te eine Sprache nach der andern, mit der ſie umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleich- niſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leiden- ſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wiz- zes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden.
Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren, die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei- gen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns unſrer Zeit macht. — Jch rede alſo von den Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpa- re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit.
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ward: ſo auch in der Sprache: man bilde-
te eine Sprache nach der andern, mit der ſie
umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel
und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie
er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter
wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleich-
niſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leiden-
ſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wiz-
zes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie
und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden.
Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren,
die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der
Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug
aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck
zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern
und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein
alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier
kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe
ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zei-
gen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten
und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns
unſrer Zeit macht. — Jch rede alſo von den
Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpa-
re das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/41>, abgerufen am 16.02.2025.
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