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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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angenehmer aber einem Leser, der eben so sehr
Werkmann seyn will, als er leichte und ga-
lante Betrachtungen anhören, gelehrte und
Weltübliche Anspielungen verstehen, und den
ganzen Zuschnitt bis auf die kleinste Nuance
Hofmäßig bemerken kann. Cäsar trug be-
ständig das Bild der Venus bei sich, deren
Sohn, ein zweiter Aeneas! er seyn wollte:
sie war nach Römischem Geschmack bewafnet;
aber die Griechische Venus, wenn sie die Pal-
las überwinden will, ist nackt, und mit den Zier-
rathen ihrer irdischen Schwester nicht be-
harnischt. So kann auch ein Verfasser der
Sohn der irrdischen bekleideten Schönheit seyn,
bei der man von dem schönen Gewande auf das
darunter Verhüllte, und von dem schönen
Anstande auf die Seele schließt; allein viel-
leicht würde ein Proxenides über sein Kunst-
stück
urtheilen: führe diesen Paris in die
Eleusinischen Heiligthümer, daß er die Schön-
heit nackt erblicke, und nackt sage. Jndes-
sen wer kann so genau die Gränze finden, daß
der Fleiß nicht Mühsamkeit verriethe, der
Geschmack sich nicht manchmal mit einem
kleinen schönen Eigensinn paarete, und der

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angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr
Werkmann ſeyn will, als er leichte und ga-
lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und
Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den
ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance
Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug be-
ſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren
Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte:
ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet;
aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pal-
las uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zier-
rathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht be-
harniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der
Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn,
bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das
darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen
Anſtande auf die Seele ſchließt; allein viel-
leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſt-
ſtuͤck
urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die
Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn-
heit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſ-
ſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß
der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der
Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem
kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der

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[147/0151] angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr Werkmann ſeyn will, als er leichte und ga- lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug be- ſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte: ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet; aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pal- las uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zier- rathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht be- harniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn, bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen Anſtande auf die Seele ſchließt; allein viel- leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſt- ſtuͤck urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn- heit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſ- ſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der Un- K 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/151>, abgerufen am 18.12.2024.