Ode trift, würde in diesem Sylbenmaaße ihre ganze Phantasie ausschütten, und freilich auch allen unregelmäßigen Wust derselben. -- Will man also Klopstocks Poetische Stücke von dieser Art, auch nicht Oden nennen; am Namen liegt nichts: so lasset es Lyrische Ge- mälde seyn, zu denen die Griechen den Na- men eidos hatten.
Ferner: Auf dem Orchester kann die Mu- sikalische Sprache in diesem Leitbande freier und sicherer gehen. Vornehmlich in den Recitativen, wo der Musikus "die Harmonie wieder zerstören muß, die dem Dichter so un- sägliche Mühe gekostet hat: wo der Prosai- sche Wohlklang entweder von dem Musikali- schen verschlungen wird, oder wohl gar durch die Collision leidet, und Wohlklang zu seyn aufhöret." Jn den Arien, wo ein Sylben- maas seyn muß, könnten die rimes assonan- tes der Spanier den Reim ersezzen, und vie- le Freiheit dem Dichter verschaffen. Ram- ler in seiner Musikalischen Jdylle: der May, in der ihm die zwei Schwestern der Harmo- nie zur Seite gestanden, hat hier mehr ge- zeigt, als ich sagen kann.
Und
J
Ode trift, wuͤrde in dieſem Sylbenmaaße ihre ganze Phantaſie ausſchuͤtten, und freilich auch allen unregelmaͤßigen Wuſt derſelben. — Will man alſo Klopſtocks Poetiſche Stuͤcke von dieſer Art, auch nicht Oden nennen; am Namen liegt nichts: ſo laſſet es Lyriſche Ge- maͤlde ſeyn, zu denen die Griechen den Na- men ειδος hatten.
Ferner: Auf dem Orcheſter kann die Mu- ſikaliſche Sprache in dieſem Leitbande freier und ſicherer gehen. Vornehmlich in den Recitativen, wo der Muſikus „die Harmonie wieder zerſtoͤren muß, die dem Dichter ſo un- ſaͤgliche Muͤhe gekoſtet hat: wo der Proſai- ſche Wohlklang entweder von dem Muſikali- ſchen verſchlungen wird, oder wohl gar durch die Colliſion leidet, und Wohlklang zu ſeyn aufhoͤret.„ Jn den Arien, wo ein Sylben- maas ſeyn muß, koͤnnten die rimes aſſonan- tes der Spanier den Reim erſezzen, und vie- le Freiheit dem Dichter verſchaffen. Ram- ler in ſeiner Muſikaliſchen Jdylle: der May, in der ihm die zwei Schweſtern der Harmo- nie zur Seite geſtanden, hat hier mehr ge- zeigt, als ich ſagen kann.
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Ode trift, wuͤrde in dieſem Sylbenmaaße
ihre ganze Phantaſie ausſchuͤtten, und freilich
auch allen unregelmaͤßigen Wuſt derſelben. —
Will man alſo Klopſtocks Poetiſche Stuͤcke
von dieſer Art, auch nicht Oden nennen; am
Namen liegt nichts: ſo laſſet es Lyriſche Ge-
maͤlde ſeyn, zu denen die Griechen den Na-
men ειδος hatten.
Ferner: Auf dem Orcheſter kann die Mu-
ſikaliſche Sprache in dieſem Leitbande freier
und ſicherer gehen. Vornehmlich in den
Recitativen, wo der Muſikus „die Harmonie
wieder zerſtoͤren muß, die dem Dichter ſo un-
ſaͤgliche Muͤhe gekoſtet hat: wo der Proſai-
ſche Wohlklang entweder von dem Muſikali-
ſchen verſchlungen wird, oder wohl gar durch
die Colliſion leidet, und Wohlklang zu ſeyn
aufhoͤret.„ Jn den Arien, wo ein Sylben-
maas ſeyn muß, koͤnnten die rimes aſſonan-
tes der Spanier den Reim erſezzen, und vie-
le Freiheit dem Dichter verſchaffen. Ram-
ler in ſeiner Muſikaliſchen Jdylle: der May,
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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