Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. "Münzen mit den Bildern unsrer Dichter zu ver-"gleichen? Gleichwohl hat Addison mit den al- "ten Münzen und Versen dieses gethan: Er "hat oft eine große Aehnlichkeit zwischen beiden "bemerkt, und Ursache gefunden, den feinen Ge- "schmack dessen zu loben, der die Vorstellung zu ei- "ner Münze angegeben. Der Poet hat die "Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem- "pelschneider gebraucht, um einen Gedanken "sinnlich zu machen." Wie man sieht, bleibt Alles im Unterschiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geschmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit solchen Münzvorstellungen zufrieden seyn: denn sie waren aus ihm geschöpft, oder wenigstens nach der Denk- art gebildet, die er dem Weisen, dem Künstler, dem Lehrer des Geschmacks, die alle Söhne seines Geschlechts waren, angeschaffen. Freilich lassen sich Verse und Münzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addison eine solche gelehrte und Geschmackshexerei ist, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi- kum in Griechenland Dichterverse und poetische Bilder ihrer Mythologie im Kopfe schwebten, ohn- gefähr auf die Art, als unserm Volke Kichenlieder, Bibelsprüche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterschied seyn soll,) wenn die Sprache und
Kritiſche Waͤlder. „Muͤnzen mit den Bildern unſrer Dichter zu ver-„gleichen? Gleichwohl hat Addiſon mit den al- „ten Muͤnzen und Verſen dieſes gethan: Er „hat oft eine große Aehnlichkeit zwiſchen beiden „bemerkt, und Urſache gefunden, den feinen Ge- „ſchmack deſſen zu loben, der die Vorſtellung zu ei- „ner Muͤnze angegeben. Der Poet hat die „Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem- „pelſchneider gebraucht, um einen Gedanken „ſinnlich zu machen.„ Wie man ſieht, bleibt Alles im Unterſchiede der Alten und Neuern bei ihm eine qualitas occulta des Geſchmacks zum Staunen. Freilich konnte der Dichter mit ſolchen Muͤnzvorſtellungen zufrieden ſeyn: denn ſie waren aus ihm geſchoͤpft, oder wenigſtens nach der Denk- art gebildet, die er dem Weiſen, dem Kuͤnſtler, dem Lehrer des Geſchmacks, die alle Soͤhne ſeines Geſchlechts waren, angeſchaffen. Freilich laſſen ſich Verſe und Muͤnzen unter den Alten vergleichen: was aber jetzt in Addiſon eine ſolche gelehrte und Geſchmackshexerei iſt, das konnte unter den Alten ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi- kum in Griechenland Dichterverſe und poetiſche Bilder ihrer Mythologie im Kopfe ſchwebten, ohn- gefaͤhr auf die Art, als unſerm Volke Kichenlieder, Bibelſpruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos Nationalunterſchied ſeyn ſoll,) wenn die Sprache und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0086" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> „Muͤnzen mit den Bildern unſrer Dichter zu ver-<lb/> „gleichen? <hi rendition="#fr">Gleichwohl hat</hi> Addiſon mit den al-<lb/> „ten Muͤnzen und Verſen <hi rendition="#fr">dieſes gethan: Er<lb/> „hat oft</hi> eine große Aehnlichkeit zwiſchen beiden<lb/> „bemerkt, und <hi rendition="#fr">Urſache gefunden,</hi> den feinen Ge-<lb/> „ſchmack deſſen zu loben, der die Vorſtellung zu ei-<lb/> „ner Muͤnze angegeben. <hi rendition="#fr">Der Poet hat die<lb/> „Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem-<lb/> „pelſchneider gebraucht, um einen Gedanken<lb/> „ſinnlich zu machen.</hi>„ Wie man ſieht, bleibt<lb/> Alles im Unterſchiede der Alten und Neuern bei<lb/> ihm eine <hi rendition="#aq">qualitas occulta</hi> des Geſchmacks zum<lb/> Staunen. Freilich konnte der Dichter mit ſolchen<lb/> Muͤnzvorſtellungen zufrieden ſeyn: denn ſie waren<lb/> aus ihm geſchoͤpft, oder wenigſtens nach der Denk-<lb/> art gebildet, die er dem Weiſen, dem Kuͤnſtler,<lb/> dem Lehrer des Geſchmacks, die alle Soͤhne <hi rendition="#fr">ſeines</hi><lb/> Geſchlechts waren, angeſchaffen. Freilich laſſen<lb/> ſich Verſe und Muͤnzen unter den Alten vergleichen:<lb/> was aber jetzt in Addiſon eine ſolche gelehrte und<lb/> Geſchmackshexerei iſt, das konnte unter den Alten<lb/> ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn<lb/> er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi-<lb/> kum in Griechenland Dichterverſe und poetiſche<lb/> Bilder ihrer Mythologie im Kopfe ſchwebten, ohn-<lb/> gefaͤhr auf die Art, als unſerm Volke Kichenlieder,<lb/> Bibelſpruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos<lb/> Nationalunterſchied ſeyn ſoll,) wenn die Sprache<lb/> <fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0086]
Kritiſche Waͤlder.
„Muͤnzen mit den Bildern unſrer Dichter zu ver-
„gleichen? Gleichwohl hat Addiſon mit den al-
„ten Muͤnzen und Verſen dieſes gethan: Er
„hat oft eine große Aehnlichkeit zwiſchen beiden
„bemerkt, und Urſache gefunden, den feinen Ge-
„ſchmack deſſen zu loben, der die Vorſtellung zu ei-
„ner Muͤnze angegeben. Der Poet hat die
„Jdee mit eben dem Bilde, welches der Stem-
„pelſchneider gebraucht, um einen Gedanken
„ſinnlich zu machen.„ Wie man ſieht, bleibt
Alles im Unterſchiede der Alten und Neuern bei
ihm eine qualitas occulta des Geſchmacks zum
Staunen. Freilich konnte der Dichter mit ſolchen
Muͤnzvorſtellungen zufrieden ſeyn: denn ſie waren
aus ihm geſchoͤpft, oder wenigſtens nach der Denk-
art gebildet, die er dem Weiſen, dem Kuͤnſtler,
dem Lehrer des Geſchmacks, die alle Soͤhne ſeines
Geſchlechts waren, angeſchaffen. Freilich laſſen
ſich Verſe und Muͤnzen unter den Alten vergleichen:
was aber jetzt in Addiſon eine ſolche gelehrte und
Geſchmackshexerei iſt, das konnte unter den Alten
ein jeder wohlerzogner gebildeter Mann. Wenn
er durch Dichter gebildet war, wenn einem Publi-
kum in Griechenland Dichterverſe und poetiſche
Bilder ihrer Mythologie im Kopfe ſchwebten, ohn-
gefaͤhr auf die Art, als unſerm Volke Kichenlieder,
Bibelſpruͤche, (eine Vergleichung, die hier blos
Nationalunterſchied ſeyn ſoll,) wenn die Sprache
und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |