Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
und Schande aller neuern Münzen so allgemein
und entscheidend zu reden, als hätten sich alle zur
Musterung dargestellt, und doch nichts als die all-
gemeinen Geschmacks - und Barbareiperioden, jede
mit Einem Beispiele vielleicht auszurüsten, und
diese ausgerüstete Figur dann mit halbem Leibe
uns hinzustellen -- ist das die Ciceronianische An-
kündigung "der Sache, die ich mir vorgesetzt
"habe? Meine Absicht ist, aus den Münzen
"gleichsam eine Geschichte des Geschmacks und
"der Künste
zusammen zu setzen, und ihre Blüthe,
"oder ihren Verfall aus denselben zu beurtheilen.
"Jch werde daher die alten Münzen, welche be-
"sonders unsre Aufmerksamkeit auf sich ziehen,
"mit den neuern vergleichen: Jch werde die
"merkwürdigsten Perioden in der Geschichte der
"Kunst durchgehen, die Münzen, welche zu je-
"der derselben
gehören, betrachten, und nach der
"größern Anzahl guter oder schlechter Stücke mein
"Urtheil fällen.
" O Dea Moneta, wo ist
dies alles in meinem lieben Büchlein?

Noch minder ist der Ton getroffen, in dem die
Griechen etwas, was zur Geschichte gehörte, lesen
wollten: der Ton des bescheidnen Anstandes, der wei-
sen Mäßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit
seiner Historie als ein Wunder seiner Zeit auftrat,
kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder
andre Geschichtsartige Schriftsteller kündigte sein

The-

Kritiſche Waͤlder.
und Schande aller neuern Muͤnzen ſo allgemein
und entſcheidend zu reden, als haͤtten ſich alle zur
Muſterung dargeſtellt, und doch nichts als die all-
gemeinen Geſchmacks - und Barbareiperioden, jede
mit Einem Beiſpiele vielleicht auszuruͤſten, und
dieſe ausgeruͤſtete Figur dann mit halbem Leibe
uns hinzuſtellen — iſt das die Ciceronianiſche An-
kuͤndigung „der Sache, die ich mir vorgeſetzt
„habe? Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen
„gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und
„der Kuͤnſte
zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe,
„oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen.
„Jch werde daher die alten Muͤnzen, welche be-
„ſonders unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen,
„mit den neuern vergleichen: Jch werde die
„merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der
„Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je-
„der derſelben
gehoͤren, betrachten, und nach der
„groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein
„Urtheil faͤllen.
O Dea Moneta, wo iſt
dies alles in meinem lieben Buͤchlein?

Noch minder iſt der Ton getroffen, in dem die
Griechen etwas, was zur Geſchichte gehoͤrte, leſen
wollten: der Ton des beſcheidnen Anſtandes, der wei-
ſen Maͤßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit
ſeiner Hiſtorie als ein Wunder ſeiner Zeit auftrat,
kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder
andre Geſchichtsartige Schriftſteller kuͤndigte ſein

The-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
und Schande aller neuern Mu&#x0364;nzen &#x017F;o allgemein<lb/>
und ent&#x017F;cheidend zu reden, als ha&#x0364;tten &#x017F;ich alle zur<lb/>
Mu&#x017F;terung darge&#x017F;tellt, und doch nichts als die all-<lb/>
gemeinen Ge&#x017F;chmacks - und Barbareiperioden, jede<lb/>
mit Einem Bei&#x017F;piele vielleicht auszuru&#x0364;&#x017F;ten, und<lb/>
die&#x017F;e ausgeru&#x0364;&#x017F;tete Figur dann mit halbem Leibe<lb/>
uns hinzu&#x017F;tellen &#x2014; i&#x017F;t das die Ciceroniani&#x017F;che An-<lb/>
ku&#x0364;ndigung &#x201E;der Sache, die ich mir vorge&#x017F;etzt<lb/>
&#x201E;habe? <hi rendition="#fr">Meine Ab&#x017F;icht i&#x017F;t,</hi> aus den Mu&#x0364;nzen<lb/>
&#x201E;gleich&#x017F;am <hi rendition="#fr">eine Ge&#x017F;chichte des Ge&#x017F;chmacks und<lb/>
&#x201E;der Ku&#x0364;n&#x017F;te</hi> zu&#x017F;ammen zu &#x017F;etzen, und ihre Blu&#x0364;the,<lb/>
&#x201E;oder ihren Verfall aus den&#x017F;elben zu <hi rendition="#fr">beurtheilen.</hi><lb/>
&#x201E;Jch werde daher die alten Mu&#x0364;nzen, welche be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;onders <hi rendition="#fr">un&#x017F;re</hi> Aufmerk&#x017F;amkeit auf &#x017F;ich ziehen,<lb/>
&#x201E;mit <hi rendition="#fr">den neuern</hi> vergleichen: <hi rendition="#fr">Jch werde</hi> die<lb/>
&#x201E;merkwu&#x0364;rdig&#x017F;ten Perioden in der Ge&#x017F;chichte der<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t <hi rendition="#fr">durchgehen,</hi> die Mu&#x0364;nzen, <hi rendition="#fr">welche zu je-<lb/>
&#x201E;der der&#x017F;elben</hi> geho&#x0364;ren, betrachten, und nach der<lb/>
&#x201E;gro&#x0364;ßern Anzahl guter oder &#x017F;chlechter Stu&#x0364;cke <hi rendition="#fr">mein<lb/>
&#x201E;Urtheil fa&#x0364;llen.</hi>&#x201E; <hi rendition="#aq">O Dea Moneta,</hi> wo i&#x017F;t<lb/>
dies alles in meinem lieben Bu&#x0364;chlein?</p><lb/>
          <p>Noch minder i&#x017F;t der Ton getroffen, in dem die<lb/>
Griechen etwas, was zur Ge&#x017F;chichte geho&#x0364;rte, le&#x017F;en<lb/>
wollten: der Ton des be&#x017F;cheidnen An&#x017F;tandes, der wei-<lb/>
&#x017F;en Ma&#x0364;ßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit<lb/>
&#x017F;einer Hi&#x017F;torie als ein Wunder &#x017F;einer Zeit auftrat,<lb/>
kein <hi rendition="#fr">Thucydides,</hi> kein <hi rendition="#fr">Xenophon,</hi> oder jeder<lb/>
andre Ge&#x017F;chichtsartige Schrift&#x017F;teller ku&#x0364;ndigte &#x017F;ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">The-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0024] Kritiſche Waͤlder. und Schande aller neuern Muͤnzen ſo allgemein und entſcheidend zu reden, als haͤtten ſich alle zur Muſterung dargeſtellt, und doch nichts als die all- gemeinen Geſchmacks - und Barbareiperioden, jede mit Einem Beiſpiele vielleicht auszuruͤſten, und dieſe ausgeruͤſtete Figur dann mit halbem Leibe uns hinzuſtellen — iſt das die Ciceronianiſche An- kuͤndigung „der Sache, die ich mir vorgeſetzt „habe? Meine Abſicht iſt, aus den Muͤnzen „gleichſam eine Geſchichte des Geſchmacks und „der Kuͤnſte zuſammen zu ſetzen, und ihre Bluͤthe, „oder ihren Verfall aus denſelben zu beurtheilen. „Jch werde daher die alten Muͤnzen, welche be- „ſonders unſre Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen, „mit den neuern vergleichen: Jch werde die „merkwuͤrdigſten Perioden in der Geſchichte der „Kunſt durchgehen, die Muͤnzen, welche zu je- „der derſelben gehoͤren, betrachten, und nach der „groͤßern Anzahl guter oder ſchlechter Stuͤcke mein „Urtheil faͤllen.„ O Dea Moneta, wo iſt dies alles in meinem lieben Buͤchlein? Noch minder iſt der Ton getroffen, in dem die Griechen etwas, was zur Geſchichte gehoͤrte, leſen wollten: der Ton des beſcheidnen Anſtandes, der wei- ſen Maͤßigkeit. Kein Herodot, ob er gleich mit ſeiner Hiſtorie als ein Wunder ſeiner Zeit auftrat, kein Thucydides, kein Xenophon, oder jeder andre Geſchichtsartige Schriftſteller kuͤndigte ſein The-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/24
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/24>, abgerufen am 24.11.2024.