Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Wäldchen.
Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wollust läßt
sich wahrhaftig weder die gute noch böse Seite
Karls erklären, und es ist Partheilichkeit, vor die-
ser ganz die Augen verschließen zu wollen. Mönche
und Capitularen und Kanzler und Schwiegersöhne
haben Karls Leben geschrieben: im Mönchsgeist, im
Geists des Pabstthums und der lateinischen Verdien-
ste -- wo ist ein wahrer Deutscher, der ihn sichte?

Und was Hr. Hausen dem an sich großen
Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich so unähn-
lichen Ludwig: eins trift also so wenig als das An-
dre. Ludwig der Fromme war eine der gewöhnli-
lichen Produktionen seines Jahrhunderts, nicht
besser und nicht schlechter, als ein mittelmäßiger
gutherziger Mann der Zeit seyn konnte. Gelehrt,
fromm, gutherzig, auf seine Art philosophisch,
das ohngefähr, was Jakob der erste, nach dem
Geiste seiner Zeit und seines Landes, und manche.....
unter uns. Schon sein Vater nahm ihn zum
Mitregenten an: unter ihm wurden glückliche
Kriege geführt: alles ging gut bis auf die Thei-
lung seiner Länder. Diese aber, lag die allein in
seiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfrän-
kischen lange gebräuchlichen Herkommen? Und die
übeln Folgen daher allein in seiner Schwachheit
oder auch in dem Charakter seiner Söhne? Und
das Glück dieser übeln Folgen allein in seiner
Schwachheit, oder auch in dem Zustande der Kir-

che,
K 2

Drittes Waͤldchen.
Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wolluſt laͤßt
ſich wahrhaftig weder die gute noch boͤſe Seite
Karls erklaͤren, und es iſt Partheilichkeit, vor die-
ſer ganz die Augen verſchließen zu wollen. Moͤnche
und Capitularen und Kanzler und Schwiegerſoͤhne
haben Karls Leben geſchrieben: im Moͤnchsgeiſt, im
Geiſts des Pabſtthums und der lateiniſchen Verdien-
ſte — wo iſt ein wahrer Deutſcher, der ihn ſichte?

Und was Hr. Hauſen dem an ſich großen
Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich ſo unaͤhn-
lichen Ludwig: eins trift alſo ſo wenig als das An-
dre. Ludwig der Fromme war eine der gewoͤhnli-
lichen Produktionen ſeines Jahrhunderts, nicht
beſſer und nicht ſchlechter, als ein mittelmaͤßiger
gutherziger Mann der Zeit ſeyn konnte. Gelehrt,
fromm, gutherzig, auf ſeine Art philoſophiſch,
das ohngefaͤhr, was Jakob der erſte, nach dem
Geiſte ſeiner Zeit und ſeines Landes, und manche.....
unter uns. Schon ſein Vater nahm ihn zum
Mitregenten an: unter ihm wurden gluͤckliche
Kriege gefuͤhrt: alles ging gut bis auf die Thei-
lung ſeiner Laͤnder. Dieſe aber, lag die allein in
ſeiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfraͤn-
kiſchen lange gebraͤuchlichen Herkommen? Und die
uͤbeln Folgen daher allein in ſeiner Schwachheit
oder auch in dem Charakter ſeiner Soͤhne? Und
das Gluͤck dieſer uͤbeln Folgen allein in ſeiner
Schwachheit, oder auch in dem Zuſtande der Kir-

che,
K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0153" n="147"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wollu&#x017F;t la&#x0364;ßt<lb/>
&#x017F;ich wahrhaftig weder die gute noch bo&#x0364;&#x017F;e Seite<lb/>
Karls erkla&#x0364;ren, und es i&#x017F;t Partheilichkeit, vor die-<lb/>
&#x017F;er ganz die Augen ver&#x017F;chließen zu wollen. Mo&#x0364;nche<lb/>
und Capitularen und Kanzler und Schwieger&#x017F;o&#x0364;hne<lb/>
haben Karls Leben ge&#x017F;chrieben: im Mo&#x0364;nchsgei&#x017F;t, im<lb/>
Gei&#x017F;ts des Pab&#x017F;tthums und der lateini&#x017F;chen Verdien-<lb/>
&#x017F;te &#x2014; wo i&#x017F;t ein wahrer Deut&#x017F;cher, der ihn &#x017F;ichte?</p><lb/>
          <p>Und was Hr. Hau&#x017F;en dem an &#x017F;ich großen<lb/>
Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich &#x017F;o una&#x0364;hn-<lb/>
lichen Ludwig: eins trift al&#x017F;o &#x017F;o wenig als das An-<lb/>
dre. Ludwig der Fromme war eine der gewo&#x0364;hnli-<lb/>
lichen Produktionen &#x017F;eines Jahrhunderts, nicht<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er und nicht &#x017F;chlechter, als ein mittelma&#x0364;ßiger<lb/>
gutherziger Mann der Zeit &#x017F;eyn konnte. Gelehrt,<lb/>
fromm, gutherzig, auf &#x017F;eine Art philo&#x017F;ophi&#x017F;ch,<lb/>
das ohngefa&#x0364;hr, was Jakob der er&#x017F;te, nach dem<lb/>
Gei&#x017F;te &#x017F;einer Zeit und &#x017F;eines Landes, und manche.....<lb/>
unter uns. Schon &#x017F;ein Vater nahm ihn zum<lb/>
Mitregenten an: unter ihm wurden glu&#x0364;ckliche<lb/>
Kriege gefu&#x0364;hrt: alles ging gut bis auf die Thei-<lb/>
lung &#x017F;einer La&#x0364;nder. Die&#x017F;e aber, lag die allein in<lb/>
&#x017F;einer Schwachheit oder nicht auch in dem Altfra&#x0364;n-<lb/>
ki&#x017F;chen lange gebra&#x0364;uchlichen Herkommen? Und die<lb/>
u&#x0364;beln Folgen daher allein in &#x017F;einer Schwachheit<lb/>
oder auch in dem Charakter &#x017F;einer So&#x0364;hne? Und<lb/>
das Glu&#x0364;ck die&#x017F;er u&#x0364;beln Folgen allein in &#x017F;einer<lb/>
Schwachheit, oder auch in dem Zu&#x017F;tande der Kir-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 2</fw><fw place="bottom" type="catch">che,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0153] Drittes Waͤldchen. Ehrgeiz und Aberglauben! Aus Wolluſt laͤßt ſich wahrhaftig weder die gute noch boͤſe Seite Karls erklaͤren, und es iſt Partheilichkeit, vor die- ſer ganz die Augen verſchließen zu wollen. Moͤnche und Capitularen und Kanzler und Schwiegerſoͤhne haben Karls Leben geſchrieben: im Moͤnchsgeiſt, im Geiſts des Pabſtthums und der lateiniſchen Verdien- ſte — wo iſt ein wahrer Deutſcher, der ihn ſichte? Und was Hr. Hauſen dem an ſich großen Karl zugibt, nimmt er dem ihm freilich ſo unaͤhn- lichen Ludwig: eins trift alſo ſo wenig als das An- dre. Ludwig der Fromme war eine der gewoͤhnli- lichen Produktionen ſeines Jahrhunderts, nicht beſſer und nicht ſchlechter, als ein mittelmaͤßiger gutherziger Mann der Zeit ſeyn konnte. Gelehrt, fromm, gutherzig, auf ſeine Art philoſophiſch, das ohngefaͤhr, was Jakob der erſte, nach dem Geiſte ſeiner Zeit und ſeines Landes, und manche..... unter uns. Schon ſein Vater nahm ihn zum Mitregenten an: unter ihm wurden gluͤckliche Kriege gefuͤhrt: alles ging gut bis auf die Thei- lung ſeiner Laͤnder. Dieſe aber, lag die allein in ſeiner Schwachheit oder nicht auch in dem Altfraͤn- kiſchen lange gebraͤuchlichen Herkommen? Und die uͤbeln Folgen daher allein in ſeiner Schwachheit oder auch in dem Charakter ſeiner Soͤhne? Und das Gluͤck dieſer uͤbeln Folgen allein in ſeiner Schwachheit, oder auch in dem Zuſtande der Kir- che, K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/153
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/153>, abgerufen am 12.12.2024.