Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. Eins erbitten, historisches Temperament: diegleichmäßige Denkart, was er sieht, gerad an zu sehen, und was er spricht, ganz zu sprechen; noch hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen recht schön gesagten, und beinahe rednerischen Cha- rakter von Karl dem Großen lesen will: so lese ich ihn, gegen den der Hausensche nichts ist, in unserm deutschen Bossuet: in diesem classischen Werke -- vielleicht das Einzige, womit unser Cramer vor der Nachwelt erscheinen wird -- -- Das war das Gefallende: aber was ist das Roman,
Kritiſche Waͤlder. Eins erbitten, hiſtoriſches Temperament: diegleichmaͤßige Denkart, was er ſieht, gerad an zu ſehen, und was er ſpricht, ganz zu ſprechen; noch hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen recht ſchoͤn geſagten, und beinahe redneriſchen Cha- rakter von Karl dem Großen leſen will: ſo leſe ich ihn, gegen den der Hauſenſche nichts iſt, in unſerm deutſchen Boſſuet: in dieſem claſſiſchen Werke — vielleicht das Einzige, womit unſer Cramer vor der Nachwelt erſcheinen wird — — Das war das Gefallende: aber was iſt das Roman,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0150" n="144"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> Eins erbitten, hiſtoriſches Temperament: die<lb/> gleichmaͤßige Denkart, was er ſieht, gerad an zu<lb/> ſehen, und was er ſpricht, ganz zu ſprechen; noch<lb/> hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen<lb/><hi rendition="#fr">recht ſchoͤn</hi> geſagten, und beinahe redneriſchen Cha-<lb/> rakter von <hi rendition="#fr">Karl dem Großen</hi> leſen will: ſo leſe<lb/> ich ihn, gegen den der Hauſenſche nichts iſt, in<lb/> unſerm deutſchen <hi rendition="#fr">Boſſuet:</hi> in dieſem claſſiſchen<lb/> Werke — vielleicht das Einzige, womit unſer<lb/> Cramer vor der Nachwelt erſcheinen wird — —</p><lb/> <p>Das war das Gefallende: aber was iſt das<lb/> Schoͤngeſagte bei einem Charakter der Geſchichte?<lb/> nichts! Leget mir der Geſchichtſchreiber nicht erſt<lb/> die Data der Geſchichte ausfuͤhrlich, richtig,<lb/> ordentlich vor, daß ich nachher <hi rendition="#fr">ſelbſt mit ihm</hi><lb/> den Charakter ausziehen darf, daß er, nach jener<lb/> laͤngſtabgekommenen ſokratiſchen Manier, nur meine<lb/> Erinnerung wecket, und nicht mir vorcharakteri-<lb/> ſirt, ſondern mich aus vorgelegten Einzelnheiten<lb/> den Charakter ſelbſt finden lehret — thut er dies<lb/> nicht: ſo iſt der Geſchichtſchreiber ein Romanen-<lb/> ſchreiber. Und das iſt Hauſen bei ſeinen geprie-<lb/> ſenen Charakteren. Die Lebensdata, die Thaten,<lb/> wo ſich Denkart aͤuſſert, ſind bei ihm wenig oder<lb/> nichts — mit einmal ſtroͤmt Seiten herab ein<lb/> Charakter: ein vom Himmel gefallenes Bild, eine<lb/> Figur, zu der das Vorſtehende auch nicht einmal<lb/> Fußgeſtelle ſeyn kann — iſt das Geſchichte?<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Roman,</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0150]
Kritiſche Waͤlder.
Eins erbitten, hiſtoriſches Temperament: die
gleichmaͤßige Denkart, was er ſieht, gerad an zu
ſehen, und was er ſpricht, ganz zu ſprechen; noch
hat er kaum Eins von beiden. Wenn ich einen
recht ſchoͤn geſagten, und beinahe redneriſchen Cha-
rakter von Karl dem Großen leſen will: ſo leſe
ich ihn, gegen den der Hauſenſche nichts iſt, in
unſerm deutſchen Boſſuet: in dieſem claſſiſchen
Werke — vielleicht das Einzige, womit unſer
Cramer vor der Nachwelt erſcheinen wird — —
Das war das Gefallende: aber was iſt das
Schoͤngeſagte bei einem Charakter der Geſchichte?
nichts! Leget mir der Geſchichtſchreiber nicht erſt
die Data der Geſchichte ausfuͤhrlich, richtig,
ordentlich vor, daß ich nachher ſelbſt mit ihm
den Charakter ausziehen darf, daß er, nach jener
laͤngſtabgekommenen ſokratiſchen Manier, nur meine
Erinnerung wecket, und nicht mir vorcharakteri-
ſirt, ſondern mich aus vorgelegten Einzelnheiten
den Charakter ſelbſt finden lehret — thut er dies
nicht: ſo iſt der Geſchichtſchreiber ein Romanen-
ſchreiber. Und das iſt Hauſen bei ſeinen geprie-
ſenen Charakteren. Die Lebensdata, die Thaten,
wo ſich Denkart aͤuſſert, ſind bei ihm wenig oder
nichts — mit einmal ſtroͤmt Seiten herab ein
Charakter: ein vom Himmel gefallenes Bild, eine
Figur, zu der das Vorſtehende auch nicht einmal
Fußgeſtelle ſeyn kann — iſt das Geſchichte?
Roman,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |