Kunst predigen -- Was für ein leichter Wegweiser zum Tempel des Geschmacks, und zur Unsterblich- keit ist doch der Geschmackvolle unsterbliche Klotz!
Eben so unbegreiflich ist die Gegenseite der Schlußfolge auf den bösen Geschmack neuerer Zei- ten und Völker aus Münzen. Ein Land, das einem Staatssysteme, einem Cerimoniel, einem Herkommen alter Jahrhunderte von bösem Ge- schmack unterworfen ist: eine Zeit, deren Religion höhere und geistigere Zwecke hat, als in Allegorien auf Münzen zu paradieren: ein Volk, dessen Spra- che fast vortreflich, wissenschaftlich und genau seyn kann, nur daß sie, gerade aus gesagt, keine Münzen- sprache ist: eine Nation, deren Merkwürdigkeiten eben so verwickelt von der politischen Wissenschaft sind, daß eine einzelne Münzensymbole sie nicht vorstellen kann, ein Volk, das aus der verblüm- ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit suchet, und Wahr- heit findet: ein Volk endlich, in dem die Münzen und der Geschmack auf demselben durchaus für kei- ne Produktion des Publikum gelten kann -- ein solches Volk soll sich seine Geschichte des Geschmacks und der Kunst aus Münzen weissagen, sich ein Buch durch mit einem andern, dessen Numisma- tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, hämisch vergleichen lassen? wer ist Bürger dieses Volks, und sagt nicht: vnde mihi lapides?
Nun
Kritiſche Waͤlder.
Kunſt predigen — Was fuͤr ein leichter Wegweiſer zum Tempel des Geſchmacks, und zur Unſterblich- keit iſt doch der Geſchmackvolle unſterbliche Klotz!
Eben ſo unbegreiflich iſt die Gegenſeite der Schlußfolge auf den boͤſen Geſchmack neuerer Zei- ten und Voͤlker aus Muͤnzen. Ein Land, das einem Staatsſyſteme, einem Cerimoniel, einem Herkommen alter Jahrhunderte von boͤſem Ge- ſchmack unterworfen iſt: eine Zeit, deren Religion hoͤhere und geiſtigere Zwecke hat, als in Allegorien auf Muͤnzen zu paradieren: ein Volk, deſſen Spra- che faſt vortreflich, wiſſenſchaftlich und genau ſeyn kann, nur daß ſie, gerade aus geſagt, keine Muͤnzen- ſprache iſt: eine Nation, deren Merkwuͤrdigkeiten eben ſo verwickelt von der politiſchen Wiſſenſchaft ſind, daß eine einzelne Muͤnzenſymbole ſie nicht vorſtellen kann, ein Volk, das aus der verbluͤm- ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit ſuchet, und Wahr- heit findet: ein Volk endlich, in dem die Muͤnzen und der Geſchmack auf demſelben durchaus fuͤr kei- ne Produktion des Publikum gelten kann — ein ſolches Volk ſoll ſich ſeine Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt aus Muͤnzen weiſſagen, ſich ein Buch durch mit einem andern, deſſen Numiſma- tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, haͤmiſch vergleichen laſſen? wer iſt Buͤrger dieſes Volks, und ſagt nicht: vnde mihi lapides?
Nun
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0104"n="98"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/>
Kunſt predigen — Was fuͤr ein leichter Wegweiſer<lb/>
zum Tempel des Geſchmacks, und zur Unſterblich-<lb/>
keit iſt doch der Geſchmackvolle unſterbliche Klotz!</p><lb/><p>Eben ſo unbegreiflich iſt die Gegenſeite der<lb/>
Schlußfolge auf den boͤſen Geſchmack neuerer Zei-<lb/>
ten und Voͤlker <hirendition="#fr">aus Muͤnzen.</hi> Ein Land, das<lb/>
einem Staatsſyſteme, einem Cerimoniel, einem<lb/>
Herkommen alter Jahrhunderte von boͤſem Ge-<lb/>ſchmack unterworfen iſt: eine Zeit, deren Religion<lb/>
hoͤhere und geiſtigere Zwecke hat, als in Allegorien<lb/>
auf Muͤnzen zu paradieren: ein Volk, deſſen Spra-<lb/>
che faſt vortreflich, wiſſenſchaftlich und genau ſeyn<lb/>
kann, nur daß ſie, gerade aus geſagt, keine Muͤnzen-<lb/>ſprache iſt: eine Nation, deren Merkwuͤrdigkeiten<lb/>
eben ſo verwickelt von der politiſchen Wiſſenſchaft<lb/>ſind, daß eine einzelne Muͤnzenſymbole ſie nicht<lb/>
vorſtellen kann, ein Volk, das aus der verbluͤm-<lb/>
ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit ſuchet, und Wahr-<lb/>
heit findet: ein Volk endlich, in dem die Muͤnzen<lb/>
und der Geſchmack auf demſelben durchaus fuͤr kei-<lb/>
ne Produktion des Publikum gelten kann — ein<lb/>ſolches Volk ſoll ſich ſeine Geſchichte des Geſchmacks<lb/>
und der Kunſt aus Muͤnzen weiſſagen, ſich ein<lb/>
Buch durch mit einem andern, deſſen Numiſma-<lb/>
tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, haͤmiſch<lb/>
vergleichen laſſen? wer iſt Buͤrger dieſes Volks,<lb/>
und ſagt nicht: <hirendition="#aq">vnde mihi lapides?</hi></p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nun</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[98/0104]
Kritiſche Waͤlder.
Kunſt predigen — Was fuͤr ein leichter Wegweiſer
zum Tempel des Geſchmacks, und zur Unſterblich-
keit iſt doch der Geſchmackvolle unſterbliche Klotz!
Eben ſo unbegreiflich iſt die Gegenſeite der
Schlußfolge auf den boͤſen Geſchmack neuerer Zei-
ten und Voͤlker aus Muͤnzen. Ein Land, das
einem Staatsſyſteme, einem Cerimoniel, einem
Herkommen alter Jahrhunderte von boͤſem Ge-
ſchmack unterworfen iſt: eine Zeit, deren Religion
hoͤhere und geiſtigere Zwecke hat, als in Allegorien
auf Muͤnzen zu paradieren: ein Volk, deſſen Spra-
che faſt vortreflich, wiſſenſchaftlich und genau ſeyn
kann, nur daß ſie, gerade aus geſagt, keine Muͤnzen-
ſprache iſt: eine Nation, deren Merkwuͤrdigkeiten
eben ſo verwickelt von der politiſchen Wiſſenſchaft
ſind, daß eine einzelne Muͤnzenſymbole ſie nicht
vorſtellen kann, ein Volk, das aus der verbluͤm-
ten Bilderzeit hinaus, Wahrheit ſuchet, und Wahr-
heit findet: ein Volk endlich, in dem die Muͤnzen
und der Geſchmack auf demſelben durchaus fuͤr kei-
ne Produktion des Publikum gelten kann — ein
ſolches Volk ſoll ſich ſeine Geſchichte des Geſchmacks
und der Kunſt aus Muͤnzen weiſſagen, ſich ein
Buch durch mit einem andern, deſſen Numiſma-
tik Himmelweit von der ihrigen abliegt, haͤmiſch
vergleichen laſſen? wer iſt Buͤrger dieſes Volks,
und ſagt nicht: vnde mihi lapides?
Nun
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/104>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.