Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. derselben in Jtalien. Jn der Kunst sprachen dieschönsten mythologischen Jdeen dem Auge; in der wieder erstandnen Poesie dem Ohre: statt des trock- nen Aristoteles ward der mythologische, allegorische Plato der Lieblingsweise Jtaliens: solche Begriffe füllten die Seele. Entweder wählte man die latei- nische Sprache dazu, und in ihr schien gleichsam die Mythologie schon eingewebt, und unabtrennlich; oder man wählte doch mythologische Dichter zum Einzigen Vorbilde; wie konnte sich nun der begei- sterte Nachahmer sagen: siehe! hier hört die Ma- nier des Dichters auf, und da fängt seine Religion an! Und wer sich dies auch hätte sagen können, der wollte sichs nicht sagen, denn ächt Latein, ächt Rö- misch zu dichten, war ja nach dem Zeitbegriffe, der einzige, der höchste Zweck seiner Muse. -- Solche Zeiten also soll man erklären, ein allgemeiner Tadel kostet wenig. Drittens schreibe ich auch nicht von den Zeiten, wenig-
Kritiſche Waͤlder. derſelben in Jtalien. Jn der Kunſt ſprachen dieſchoͤnſten mythologiſchen Jdeen dem Auge; in der wieder erſtandnen Poeſie dem Ohre: ſtatt des trock- nen Ariſtoteles ward der mythologiſche, allegoriſche Plato der Lieblingsweiſe Jtaliens: ſolche Begriffe fuͤllten die Seele. Entweder waͤhlte man die latei- niſche Sprache dazu, und in ihr ſchien gleichſam die Mythologie ſchon eingewebt, und unabtrennlich; oder man waͤhlte doch mythologiſche Dichter zum Einzigen Vorbilde; wie konnte ſich nun der begei- ſterte Nachahmer ſagen: ſiehe! hier hoͤrt die Ma- nier des Dichters auf, und da faͤngt ſeine Religion an! Und wer ſich dies auch haͤtte ſagen koͤnnen, der wollte ſichs nicht ſagen, denn aͤcht Latein, aͤcht Roͤ- miſch zu dichten, war ja nach dem Zeitbegriffe, der einzige, der hoͤchſte Zweck ſeiner Muſe. — Solche Zeiten alſo ſoll man erklaͤren, ein allgemeiner Tadel koſtet wenig. Drittens ſchreibe ich auch nicht von den Zeiten, wenig-
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Kritiſche Waͤlder.
derſelben in Jtalien. Jn der Kunſt ſprachen die
ſchoͤnſten mythologiſchen Jdeen dem Auge; in der
wieder erſtandnen Poeſie dem Ohre: ſtatt des trock-
nen Ariſtoteles ward der mythologiſche, allegoriſche
Plato der Lieblingsweiſe Jtaliens: ſolche Begriffe
fuͤllten die Seele. Entweder waͤhlte man die latei-
niſche Sprache dazu, und in ihr ſchien gleichſam
die Mythologie ſchon eingewebt, und unabtrennlich;
oder man waͤhlte doch mythologiſche Dichter zum
Einzigen Vorbilde; wie konnte ſich nun der begei-
ſterte Nachahmer ſagen: ſiehe! hier hoͤrt die Ma-
nier des Dichters auf, und da faͤngt ſeine Religion
an! Und wer ſich dies auch haͤtte ſagen koͤnnen, der
wollte ſichs nicht ſagen, denn aͤcht Latein, aͤcht Roͤ-
miſch zu dichten, war ja nach dem Zeitbegriffe, der
einzige, der hoͤchſte Zweck ſeiner Muſe. — Solche
Zeiten alſo ſoll man erklaͤren, ein allgemeiner Tadel
koſtet wenig.
Drittens ſchreibe ich auch nicht von den Zeiten,
da die Religion, ſo wie ſie damals herrſchend war,
kein reines heiliges Gedicht geben konnte: da die Be-
grifſe von ihr viel zu dunkel, unbeſtimmt, gebro-
chen und aberglaͤubiſch waren, als daß ein Gedicht,
das fuͤr den herrſchenden Verſtand geſchrieben waͤre,
fuͤr uns orthodox, wie ein Gebethbuch, ſeyn koͤnne.
So z. E. die Zeiten des Dante, Arioſts, Taſſo,
Camoens u. ſ. w. Wenn dieſe Dichter in dem
elenden Geſchmacke ihrer Zeit poetiſches Geraͤth, oder
wenig-
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