Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. Kunst: Horaz und Virgil waren Dichter einerfremden Religion; zugleich aber Dichter der edel- sten Natur, der vortrefflichsten Sprache: die My- thologie eine Sammlung von Fratzenmärchen; aber auch eine Welt voll sehr poetischer Jdeen. Unter solchen also lebten damals Dichter und Künstler: sie wandelten unter heidnischen Statuen, und heidni- schen Dichtern, und heidnischen Sprachen: das Neue, die Morgenröthe des Geschmacks, hatte drei- fach stärkere Wirkung auf sie: sie wurden selbst römische Dichter, und neugriechische Künstler und christliche Heiden. Der Cardinal der römischen Kirche war ein heidnischer Bembo, der neue Horaz Vida Bischof von Cremona: das Kind mit christli- chem Wasser getauft, ward mit heidnischen Begrif- fen des Schönen genähret: die Vermischung ward Geschmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte vergab christliche Sünden, und wandte die heiligen Summen auf das unheilige Schöne der Heiden: in die Tempel Jtaliens kam David und Apollo, Chri- stus und Belial neben einander, und die Geschichte Jupiters und Leda auf die Thüre des heil. römisch- katholischen Peters. Wer kann nun ohne Rücksicht auf Zeit, Land, Jahr- a) p. 73 -- 75. etc.
Zweites Waͤldchen. Kunſt: Horaz und Virgil waren Dichter einerfremden Religion; zugleich aber Dichter der edel- ſten Natur, der vortrefflichſten Sprache: die My- thologie eine Sammlung von Fratzenmaͤrchen; aber auch eine Welt voll ſehr poetiſcher Jdeen. Unter ſolchen alſo lebten damals Dichter und Kuͤnſtler: ſie wandelten unter heidniſchen Statuen, und heidni- ſchen Dichtern, und heidniſchen Sprachen: das Neue, die Morgenroͤthe des Geſchmacks, hatte drei- fach ſtaͤrkere Wirkung auf ſie: ſie wurden ſelbſt roͤmiſche Dichter, und neugriechiſche Kuͤnſtler und chriſtliche Heiden. Der Cardinal der roͤmiſchen Kirche war ein heidniſcher Bembo, der neue Horaz Vida Biſchof von Cremona: das Kind mit chriſtli- chem Waſſer getauft, ward mit heidniſchen Begrif- fen des Schoͤnen genaͤhret: die Vermiſchung ward Geſchmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte vergab chriſtliche Suͤnden, und wandte die heiligen Summen auf das unheilige Schoͤne der Heiden: in die Tempel Jtaliens kam David und Apollo, Chri- ſtus und Belial neben einander, und die Geſchichte Jupiters und Leda auf die Thuͤre des heil. roͤmiſch- katholiſchen Peters. Wer kann nun ohne Ruͤckſicht auf Zeit, Land, Jahr- a) p. 73 — 75. etc.
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Zweites Waͤldchen.
Kunſt: Horaz und Virgil waren Dichter einer
fremden Religion; zugleich aber Dichter der edel-
ſten Natur, der vortrefflichſten Sprache: die My-
thologie eine Sammlung von Fratzenmaͤrchen; aber
auch eine Welt voll ſehr poetiſcher Jdeen. Unter
ſolchen alſo lebten damals Dichter und Kuͤnſtler: ſie
wandelten unter heidniſchen Statuen, und heidni-
ſchen Dichtern, und heidniſchen Sprachen: das
Neue, die Morgenroͤthe des Geſchmacks, hatte drei-
fach ſtaͤrkere Wirkung auf ſie: ſie wurden ſelbſt
roͤmiſche Dichter, und neugriechiſche Kuͤnſtler und
chriſtliche Heiden. Der Cardinal der roͤmiſchen
Kirche war ein heidniſcher Bembo, der neue Horaz
Vida Biſchof von Cremona: das Kind mit chriſtli-
chem Waſſer getauft, ward mit heidniſchen Begrif-
fen des Schoͤnen genaͤhret: die Vermiſchung ward
Geſchmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte
vergab chriſtliche Suͤnden, und wandte die heiligen
Summen auf das unheilige Schoͤne der Heiden: in
die Tempel Jtaliens kam David und Apollo, Chri-
ſtus und Belial neben einander, und die Geſchichte
Jupiters und Leda auf die Thuͤre des heil. roͤmiſch-
katholiſchen Peters.
Wer kann nun ohne Ruͤckſicht auf Zeit, Land,
und Sprache Sannazar und Vida, Dante und Pe-
trarca, Ariofto und Taſſo, und wen weiß ich mehr?
tadeln a) ohne ſie zu erklaͤren, ohne uns auf ihre
Jahr-
a) p. 73 — 75. etc.
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