Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. Zweitens, auch die Zeiten und Länder muß Kunst:
Kritiſche Waͤlder. Zweitens, auch die Zeiten und Laͤnder muß Kunſt:
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0068" n="62"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi> </fw><lb/> <p>Zweitens, auch die Zeiten und Laͤnder muß<lb/> man unterſcheiden, in denen ein Dichter lebte, in<lb/> denen und fuͤr welche er ſchrieb. Die meiſten der<lb/> geruͤgten Poeten ſind Jtaliener, aus dem Lande der<lb/> Alterthuͤmer alſo, aus oder vor den Zeiten, da der<lb/> Geſchmack des alten Graͤciens und Latiums wieder<lb/> auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca,<lb/> Sannazar, Vida, Arioſto, Taſſo, Marino aus<lb/> allen dieſen Zeitverbindungen ruͤcken, und ſo ſchlecht-<lb/> hin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines frem-<lb/> den Landes fodern; daß ſie das Heilige mit dem<lb/> Unheiligen vermiſchet? Der Geiſt der alten griechi-<lb/> ſchen Mythologie, aus ſeinem Vaterlande vertrieben,<lb/> floh nach Jtalien: Jtalien gab er die Denkmaale<lb/> ſeiner Groͤße in Poeſie und Kunſt und Weisheit:<lb/> in Jtalien erwachte er wieder; erwachend aber fand<lb/> er ein Land, mit einer fremden, der chriſtlichen<lb/> Religion bedeckt. Jndeſſen ſtrebte er in die Hoͤhe,<lb/> ſchaffte ſich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer;<lb/> Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Re-<lb/> ligion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was<lb/> anders alſo, als eine Vermiſchung zweener fremder<lb/> Stroͤme, die gegen einander brauſeten, und end-<lb/> lich zuſammen floſſen. Der chriſtliche Kuͤnſtler,<lb/> dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor<lb/> dem hoͤchſten Denkmaale der Kunſt, nieder: die<lb/> Statuen der Goͤtter waren Geſchoͤpfe des Aberglau-<lb/> bens, aber auch Geſchoͤpſe der ſchoͤnſten griechiſchen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Kunſt:</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0068]
Kritiſche Waͤlder.
Zweitens, auch die Zeiten und Laͤnder muß
man unterſcheiden, in denen ein Dichter lebte, in
denen und fuͤr welche er ſchrieb. Die meiſten der
geruͤgten Poeten ſind Jtaliener, aus dem Lande der
Alterthuͤmer alſo, aus oder vor den Zeiten, da der
Geſchmack des alten Graͤciens und Latiums wieder
auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca,
Sannazar, Vida, Arioſto, Taſſo, Marino aus
allen dieſen Zeitverbindungen ruͤcken, und ſo ſchlecht-
hin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines frem-
den Landes fodern; daß ſie das Heilige mit dem
Unheiligen vermiſchet? Der Geiſt der alten griechi-
ſchen Mythologie, aus ſeinem Vaterlande vertrieben,
floh nach Jtalien: Jtalien gab er die Denkmaale
ſeiner Groͤße in Poeſie und Kunſt und Weisheit:
in Jtalien erwachte er wieder; erwachend aber fand
er ein Land, mit einer fremden, der chriſtlichen
Religion bedeckt. Jndeſſen ſtrebte er in die Hoͤhe,
ſchaffte ſich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer;
Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Re-
ligion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was
anders alſo, als eine Vermiſchung zweener fremder
Stroͤme, die gegen einander brauſeten, und end-
lich zuſammen floſſen. Der chriſtliche Kuͤnſtler,
dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor
dem hoͤchſten Denkmaale der Kunſt, nieder: die
Statuen der Goͤtter waren Geſchoͤpfe des Aberglau-
bens, aber auch Geſchoͤpſe der ſchoͤnſten griechiſchen
Kunſt:
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