Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. wenn ihm die Gewohnheit, der alltägliche Gebrauchseine ursprüngliche bildvolle Bedeutung entnommen: so ist er ein Redezierrath ohne Wesen; und vor sol- cher Poesie behüt' uns liebe himmlische Muse! Nein! für schulmäßige Phrasesjäger will ich misch
Zweites Waͤldchen. wenn ihm die Gewohnheit, der alltaͤgliche Gebrauchſeine urſpruͤngliche bildvolle Bedeutung entnommen: ſo iſt er ein Redezierrath ohne Weſen; und vor ſol- cher Poeſie behuͤt’ uns liebe himmliſche Muſe! Nein! fuͤr ſchulmaͤßige Phraſesjaͤger will ich miſch
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Zweites Waͤldchen.
wenn ihm die Gewohnheit, der alltaͤgliche Gebrauch
ſeine urſpruͤngliche bildvolle Bedeutung entnommen:
ſo iſt er ein Redezierrath ohne Weſen; und vor ſol-
cher Poeſie behuͤt’ uns liebe himmliſche Muſe!
Nein! fuͤr ſchulmaͤßige Phraſesjaͤger will ich
die Erwecker der lateiniſchen Dichtkunſt nicht neh-
men; aber um ſo ſchwerer wird mir die Entſcheidung:
„wie weit kann eine wirklich popetiſche, und in ihren
„Horaz und Virgil verzuckte Seele, in ihrer poeti-
„ſchen Begeiſterung, auch gleichſam an ſeine Goͤt-
„ter und geiſtigen Weſen glaͤubig werden? Wie
„weit kann ſich die horaziſche Laune, der virgiliani-
„ſche Geiſt, inſonderheit, wenn ich in ihrer Spra-
„che ſinge, einſtellen, daß ich Mythologie von ihrer
„Dichtungsart unabgetrennet und unabtrennlich er-
„blicke, daß ich, indem ich, wie ſie, ſingen will,
„auch mit ihrer Mythologie ſinge.„ Wer kann
hier aus dem Stegreife antworten? wer kann in der
Seele derer, die wirklich mit Enthuſiaſmus dichte-
ten, Grenzen ziehen, wie roͤmiſche Begeiſterung,
Begeiſterung aus den Roͤmern geſchoͤpft, Begeiſte-
rung, die ſich ſelbſt in roͤmiſche Sprache ergoß,
hie und da einen Schritt weiter im Ausdrucke zu-
ruͤck bleiben, hie und da etwas vorſichtiger in der
Mythologie ſeyn ſollten: denn ſie dichteten doch Hei-
lig. Nun ja denn! immerhin heilig; aber Vi-
da und ſeine Mitgefaͤhrten dichteten auch latei-
niſch, und, zum Ungluͤcke, wollten ſie auch roͤ-
miſch
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