lich seyn, d. i. zum Lachen da stehen -- welch ein Unterschied!
Zweitens: die Würde der epischen Hauptper- son, gebührt die auch jeder Figur, die in der Epo- pee austritt? Unmöglich! und eben bei keinen zwo- en Personen muß diese Würde ganz gleich seyn. Ei- nige müssen, eben um die Würde epischer Helden ins Licht zu setzen, mit ihnen kontrastiren, und Unhel- den seyn: Unkraut unter dem Weizen, und Sata- ne um der Engel willen. Wenn es also Einen Achilles geben kann, den Tapfersten der Männer vor Troja, wenn mit ihm tausend Helden, die stuf- fenweise an Tapferkeit herunter steigen; warum nicht auch einen feigen Thersites. Wenn so viel edle, schöne, würdige Seelen; warum nicht auch eine, die häßlichste unter allen, die vor Troja gekommen waren? Diese, das Bild der Un- edlen unter den Griechen, kann mit der gehörigen epischen Erhöhung so gut und zweckmäßig im Ge- dichte erscheinen, als unter den Griechen vor Troja die Unedlen. Wenn in einem Trauerspiele schon nicht lauter Helden seyn müssen; so konnte in der weit größern Welt von Menschen, die Homer in der Jliade schuff, auch ein Thersites seyn müssen. Wird seine Einwirkung mit den übrigen Gewichten der Jliade nur zusammen gewogen: erscheint er an Orte und Stelle: nicht ohne Nutzen, mit Zwecke: -- vortrefflich! -- Dies ist der zweite versäumte
Un-
Kritiſche Waͤlder.
lich ſeyn, d. i. zum Lachen da ſtehen — welch ein Unterſchied!
Zweitens: die Wuͤrde der epiſchen Hauptper- ſon, gebuͤhrt die auch jeder Figur, die in der Epo- pee auſtritt? Unmoͤglich! und eben bei keinen zwo- en Perſonen muß dieſe Wuͤrde ganz gleich ſeyn. Ei- nige muͤſſen, eben um die Wuͤrde epiſcher Helden ins Licht zu ſetzen, mit ihnen kontraſtiren, und Unhel- den ſeyn: Unkraut unter dem Weizen, und Sata- ne um der Engel willen. Wenn es alſo Einen Achilles geben kann, den Tapferſten der Maͤnner vor Troja, wenn mit ihm tauſend Helden, die ſtuf- fenweiſe an Tapferkeit herunter ſteigen; warum nicht auch einen feigen Therſites. Wenn ſo viel edle, ſchoͤne, wuͤrdige Seelen; warum nicht auch eine, die haͤßlichſte unter allen, die vor Troja gekommen waren? Dieſe, das Bild der Un- edlen unter den Griechen, kann mit der gehoͤrigen epiſchen Erhoͤhung ſo gut und zweckmaͤßig im Ge- dichte erſcheinen, als unter den Griechen vor Troja die Unedlen. Wenn in einem Trauerſpiele ſchon nicht lauter Helden ſeyn muͤſſen; ſo konnte in der weit groͤßern Welt von Menſchen, die Homer in der Jliade ſchuff, auch ein Therſites ſeyn muͤſſen. Wird ſeine Einwirkung mit den uͤbrigen Gewichten der Jliade nur zuſammen gewogen: erſcheint er an Orte und Stelle: nicht ohne Nutzen, mit Zwecke: — vortrefflich! — Dies iſt der zweite verſaͤumte
Un-
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Kritiſche Waͤlder.
lich ſeyn, d. i. zum Lachen da ſtehen — welch
ein Unterſchied!
Zweitens: die Wuͤrde der epiſchen Hauptper-
ſon, gebuͤhrt die auch jeder Figur, die in der Epo-
pee auſtritt? Unmoͤglich! und eben bei keinen zwo-
en Perſonen muß dieſe Wuͤrde ganz gleich ſeyn. Ei-
nige muͤſſen, eben um die Wuͤrde epiſcher Helden ins
Licht zu ſetzen, mit ihnen kontraſtiren, und Unhel-
den ſeyn: Unkraut unter dem Weizen, und Sata-
ne um der Engel willen. Wenn es alſo Einen
Achilles geben kann, den Tapferſten der Maͤnner
vor Troja, wenn mit ihm tauſend Helden, die ſtuf-
fenweiſe an Tapferkeit herunter ſteigen; warum
nicht auch einen feigen Therſites. Wenn ſo viel
edle, ſchoͤne, wuͤrdige Seelen; warum nicht auch
eine, die haͤßlichſte unter allen, die vor Troja
gekommen waren? Dieſe, das Bild der Un-
edlen unter den Griechen, kann mit der gehoͤrigen
epiſchen Erhoͤhung ſo gut und zweckmaͤßig im Ge-
dichte erſcheinen, als unter den Griechen vor Troja
die Unedlen. Wenn in einem Trauerſpiele ſchon
nicht lauter Helden ſeyn muͤſſen; ſo konnte in der
weit groͤßern Welt von Menſchen, die Homer in
der Jliade ſchuff, auch ein Therſites ſeyn muͤſſen.
Wird ſeine Einwirkung mit den uͤbrigen Gewichten
der Jliade nur zuſammen gewogen: erſcheint er an
Orte und Stelle: nicht ohne Nutzen, mit Zwecke:
— vortrefflich! — Dies iſt der zweite verſaͤumte
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/56>, abgerufen am 16.02.2025.
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