der epische Dichter Homer weiß von solchen lächer- lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er be- singt, war "die Zeit der Heldengröße, eines hohen "Ernstes nach griechischer Natur:" und die Zeit, in der er lebte und sang, "der Anfang des bürger- "lichen Jahrhunderts," und also eines gesitteten Ernstes in edler Einfalt. So wie in der ersten der Held, der Tapfre, der größeste Mann war; so in der zweiten der Weise und Gute ---- in beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen- den Witzling nicht wohl zu gedenken; sonst wäre statt homerischer Epopeen nichts, als crebillonsche Ro- mane, oder komische Epopeen, die Erstgeburt der griechischen Muse geworden. Bei Homer also, wenn er keinen Margites, sondern eine Helden Jlia- de schreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwürdigen Lachen so sicher, als ichs bei den schönen und artigen Schriftstellern unsrer Tage wohl nicht bin: und das vermöge des homerischen Zeitalters.
Drittens endlich, dünkt mich die Ursache des beschwerlich Lächerlichen in Homer eben so unge- wiß, daß er aus einem Fehltrite seiner Beurthei- lungskraft so unzeitig lächerlich, so lachsüchtig ge- worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn andre Fehltritte für wahrscheinlicher halten, als ---- doch warum so viel wahrscheinliche oder unwahr-
schein-
Kritiſche Waͤlder.
Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!
der epiſche Dichter Homer weiß von ſolchen laͤcher- lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er be- ſingt, war „die Zeit der Heldengroͤße, eines hohen „Ernſtes nach griechiſcher Natur:„ und die Zeit, in der er lebte und ſang, „der Anfang des buͤrger- „lichen Jahrhunderts,„ und alſo eines geſitteten Ernſtes in edler Einfalt. So wie in der erſten der Held, der Tapfre, der groͤßeſte Mann war; ſo in der zweiten der Weiſe und Gute —— in beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen- den Witzling nicht wohl zu gedenken; ſonſt waͤre ſtatt homeriſcher Epopeen nichts, als crebillonſche Ro- mane, oder komiſche Epopeen, die Erſtgeburt der griechiſchen Muſe geworden. Bei Homer alſo, wenn er keinen Margites, ſondern eine Helden Jlia- de ſchreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwuͤrdigen Lachen ſo ſicher, als ichs bei den ſchoͤnen und artigen Schriftſtellern unſrer Tage wohl nicht bin: und das vermoͤge des homeriſchen Zeitalters.
Drittens endlich, duͤnkt mich die Urſache des beſchwerlich Laͤcherlichen in Homer eben ſo unge- wiß, daß er aus einem Fehltrite ſeiner Beurthei- lungskraft ſo unzeitig laͤcherlich, ſo lachſuͤchtig ge- worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn andre Fehltritte fuͤr wahrſcheinlicher halten, als —— doch warum ſo viel wahrſcheinliche oder unwahr-
ſchein-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0028"n="22"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/><cit><quote><hirendition="#c"><hirendition="#aq">Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!</hi></hi></quote></cit><lb/><p>der epiſche Dichter Homer weiß von ſolchen laͤcher-<lb/>
lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, <hirendition="#fr">das</hi> er be-<lb/>ſingt, war „die Zeit der Heldengroͤße, eines hohen<lb/>„Ernſtes nach griechiſcher Natur:„ und die Zeit,<lb/><hirendition="#fr">in der</hi> er lebte und ſang, „der Anfang des buͤrger-<lb/>„lichen Jahrhunderts,„ und alſo eines geſitteten<lb/>
Ernſtes in edler Einfalt. So wie in der erſten<lb/>
der Held, der Tapfre, der groͤßeſte Mann war;<lb/>ſo in der zweiten der Weiſe und Gute —— in<lb/>
beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen-<lb/>
den Witzling nicht wohl zu gedenken; ſonſt waͤre ſtatt<lb/>
homeriſcher Epopeen nichts, als crebillonſche Ro-<lb/>
mane, oder komiſche Epopeen, die Erſtgeburt der<lb/>
griechiſchen Muſe geworden. Bei Homer alſo,<lb/>
wenn er keinen Margites, ſondern eine Helden Jlia-<lb/>
de ſchreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwuͤrdigen<lb/>
Lachen ſo ſicher, als ichs bei den ſchoͤnen und artigen<lb/>
Schriftſtellern unſrer Tage wohl nicht bin: und das<lb/><hirendition="#fr">vermoͤge des homeriſchen Zeitalters.</hi></p><lb/><p>Drittens endlich, duͤnkt mich <hirendition="#fr">die Urſache des<lb/>
beſchwerlich Laͤcherlichen</hi> in Homer eben ſo <hirendition="#fr">unge-<lb/>
wiß,</hi> daß er aus einem Fehltrite ſeiner Beurthei-<lb/>
lungskraft ſo unzeitig laͤcherlich, ſo lachſuͤchtig ge-<lb/>
worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn<lb/>
andre Fehltritte fuͤr wahrſcheinlicher halten, als ——<lb/>
doch warum ſo viel wahrſcheinliche oder unwahr-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſchein-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[22/0028]
Kritiſche Waͤlder.
Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!
der epiſche Dichter Homer weiß von ſolchen laͤcher-
lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er be-
ſingt, war „die Zeit der Heldengroͤße, eines hohen
„Ernſtes nach griechiſcher Natur:„ und die Zeit,
in der er lebte und ſang, „der Anfang des buͤrger-
„lichen Jahrhunderts,„ und alſo eines geſitteten
Ernſtes in edler Einfalt. So wie in der erſten
der Held, der Tapfre, der groͤßeſte Mann war;
ſo in der zweiten der Weiſe und Gute —— in
beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen-
den Witzling nicht wohl zu gedenken; ſonſt waͤre ſtatt
homeriſcher Epopeen nichts, als crebillonſche Ro-
mane, oder komiſche Epopeen, die Erſtgeburt der
griechiſchen Muſe geworden. Bei Homer alſo,
wenn er keinen Margites, ſondern eine Helden Jlia-
de ſchreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwuͤrdigen
Lachen ſo ſicher, als ichs bei den ſchoͤnen und artigen
Schriftſtellern unſrer Tage wohl nicht bin: und das
vermoͤge des homeriſchen Zeitalters.
Drittens endlich, duͤnkt mich die Urſache des
beſchwerlich Laͤcherlichen in Homer eben ſo unge-
wiß, daß er aus einem Fehltrite ſeiner Beurthei-
lungskraft ſo unzeitig laͤcherlich, ſo lachſuͤchtig ge-
worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn
andre Fehltritte fuͤr wahrſcheinlicher halten, als ——
doch warum ſo viel wahrſcheinliche oder unwahr-
ſchein-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/28>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.