Nation so ganz hören: und wie biegsam eine See- le, um ihn in seiner griechischen Natur durchaus fühlen zu können. Am sichersten, mein Urtheil über ihn sey nicht voreilend, damit ich ihm das nicht für einen Fehler anrechne, was Tugend seiner Zeit war.
Nun mag Hr. Kl. die unten gesetzte a) Einlei- tung zu seinem homerischen Tadel rechtfertigen; ich finde den einen Theil derselben am unrechten Orte; den andern Theil sehr zweifelhaft. Am unrechten Orte steht die Betrachtung b), daß Homer ein Mensch sey, Fehler habe, daß die Fehler der größe- sten Genies, eines Homer und Shakespear, ihrer Größe nichts benehmen, u. s. w. Für unsern Zweck wäre die Betrachtung gewesen: ob Homers Fehler, (als griechischer Dichter seiner Zeit, und nicht als Mensch betrachtet,) von uns, und zu allererst von uns eingesehen, und diktatorisch beurtheilt werden können? Und so zweifelhaft dies: so ungewiß wird mir das Folgende c): " daß Homer sein Gedicht "mit nicht leichten Flecken besudelt, weil er sich "entweder nach den Sitten seiner Zeit gerichtet, "(das mußte er thun, und wenn ers thut, ists kein "Fehler,) oder weil es schwer fällt, zurück zu halten, "was dem Leser Lachen erwecken könnte, oder aus ei- "nem Fehler seiner Beurtheilungskraft; kurz also,
"daß
a)p. 24. &c.
b)p. 21 -- 23.
c)p. 24. 25.
Kritiſche Waͤlder.
Nation ſo ganz hoͤren: und wie biegſam eine See- le, um ihn in ſeiner griechiſchen Natur durchaus fuͤhlen zu koͤnnen. Am ſicherſten, mein Urtheil uͤber ihn ſey nicht voreilend, damit ich ihm das nicht fuͤr einen Fehler anrechne, was Tugend ſeiner Zeit war.
Nun mag Hr. Kl. die unten geſetzte a) Einlei- tung zu ſeinem homeriſchen Tadel rechtfertigen; ich finde den einen Theil derſelben am unrechten Orte; den andern Theil ſehr zweifelhaft. Am unrechten Orte ſteht die Betrachtung b), daß Homer ein Menſch ſey, Fehler habe, daß die Fehler der groͤße- ſten Genies, eines Homer und Shakeſpear, ihrer Groͤße nichts benehmen, u. ſ. w. Fuͤr unſern Zweck waͤre die Betrachtung geweſen: ob Homers Fehler, (als griechiſcher Dichter ſeiner Zeit, und nicht als Menſch betrachtet,) von uns, und zu allererſt von uns eingeſehen, und diktatoriſch beurtheilt werden koͤnnen? Und ſo zweifelhaft dies: ſo ungewiß wird mir das Folgende c): „ daß Homer ſein Gedicht „mit nicht leichten Flecken beſudelt, weil er ſich „entweder nach den Sitten ſeiner Zeit gerichtet, „(das mußte er thun, und wenn ers thut, iſts kein „Fehler,) oder weil es ſchwer faͤllt, zuruͤck zu halten, „was dem Leſer Lachen erwecken koͤnnte, oder aus ei- „nem Fehler ſeiner Beurtheilungskraft; kurz alſo,
„daß
a)p. 24. &c.
b)p. 21 — 23.
c)p. 24. 25.
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Kritiſche Waͤlder.
Nation ſo ganz hoͤren: und wie biegſam eine See-
le, um ihn in ſeiner griechiſchen Natur durchaus
fuͤhlen zu koͤnnen. Am ſicherſten, mein Urtheil uͤber
ihn ſey nicht voreilend, damit ich ihm das nicht
fuͤr einen Fehler anrechne, was Tugend ſeiner
Zeit war.
Nun mag Hr. Kl. die unten geſetzte a) Einlei-
tung zu ſeinem homeriſchen Tadel rechtfertigen; ich
finde den einen Theil derſelben am unrechten Orte;
den andern Theil ſehr zweifelhaft. Am unrechten
Orte ſteht die Betrachtung b), daß Homer ein
Menſch ſey, Fehler habe, daß die Fehler der groͤße-
ſten Genies, eines Homer und Shakeſpear, ihrer
Groͤße nichts benehmen, u. ſ. w. Fuͤr unſern Zweck
waͤre die Betrachtung geweſen: ob Homers Fehler,
(als griechiſcher Dichter ſeiner Zeit, und nicht als
Menſch betrachtet,) von uns, und zu allererſt von
uns eingeſehen, und diktatoriſch beurtheilt werden
koͤnnen? Und ſo zweifelhaft dies: ſo ungewiß wird
mir das Folgende c): „ daß Homer ſein Gedicht
„mit nicht leichten Flecken beſudelt, weil er ſich
„entweder nach den Sitten ſeiner Zeit gerichtet,
„(das mußte er thun, und wenn ers thut, iſts kein
„Fehler,) oder weil es ſchwer faͤllt, zuruͤck zu halten,
„was dem Leſer Lachen erwecken koͤnnte, oder aus ei-
„nem Fehler ſeiner Beurtheilungskraft; kurz alſo,
„daß
a) p. 24. &c.
b) p. 21 — 23.
c) p. 24. 25.
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/26>, abgerufen am 16.02.2025.
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